
Die Sonne liefert uns jeden Tag viel mehr Energie, als wir jemals verbrauchen könnten.
Dass wir diese Energie nutzen sollten, ist heute für einen Grossteil der Gesellschaft selbstverständlich.
Solarenergie ist in aller Munde – doch die Solarthermie scheint in den Hintergrund geraten zu sein.
Text: Linda Wachtarczyk
Einst Vorreiter der Solarenergie, mangelt es dieser einfachen und effizienten Technologie heute an politischer Anerkennung. Ausbildungsangebote werden rar, und je nach Region verläuft der Selbstbau sehr unterschiedlich. Während die Solarthermie in der Westschweiz weiterhin floriert, ist sie in der Deutschschweiz komplett verschwunden: «Da ist sie tot – und Tote atmen nicht mehr», erklärt Pascal Cretton vom Verein Sebasol (Self Bâtir Solaire), den wir für dieses Interview getroffen haben.
Gemeinsam mit ihm versuchen wir, zu verstehen, warum die Solarthermie heute insbesondere auf politischer und kultureller Ebene an Bedeutung verloren hat und was Selbstbau eigentlich bedeutet – über die einfache Selbstmontage nach IKEA-Prinzip hinaus.
Interview mit Pascal Cretton
Wie haben Sie die solarthermische Selbstbauweise für sich entdeckt? War es eine technische, politische oder wirtschaftliche Entscheidung … oder alles zusammen?
(Pascal Cretton) Politisch und technisch. Günstig zu bauen, war – und ist immer noch – eine moralische Verpflichtung, um Menschen nicht zu schaden, aber keine fixe Idee. Das war bei der Cisbat. Ich entdeckte das Thema 1993 an einem Vortragszyklus der EPFL (LESO-PB), bei dem Jean-Marc Suter das Projekt Sebasol vorstellte. Als Wehrdienstverweigerer, Gandhianer und Physiker, sensibilisiert durch Werke wie «Grenzen des Wachstums» und Georgescu-Roegen, konnte ich gar nicht anders, als betroffen zu sein. Damals waren Wissenschaftler oft kritischer als heute – Stichworte: Kaiseraugst, Pugwash, Grothendieck. Tschernobyl war damals präsenter im Gedächtnis als heute Fukushima. In der Gesellschaft herrschte weniger narzisstische Zerstreuung. Es war noch nicht so weit, dass man öffentlich erklärte, Palästinenser seien Tiere. Wir waren weniger «wie in einer gewohnten Geschwindigkeit, erstarrt in Unterwürfigkeit» (Odysseas Elytis).
Welche Herausforderungen prägen die Selbstbau-Solarthermie heute?
Drei zentrale Kräfte stehen uns entgegen: der Extraktivismus, die Realpolitik und die kapitalistische Geschäftsdynamik.
Könnten Sie genauer darauf eingehen, was Sie damit meinen?
Eine der Herausforderungen, mit denen der Eigenbau heute konfrontiert ist, ist das globale Umfeld, in dem er sich entwickelt. Da ist zunächst der Extraktivismus, diese Logik der intensiven Ausbeutung natürlicher Ressourcen, sei es in Minen oder auf dem Meeresgrund, oft ohne Rücksicht auf die menschlichen und ökologischen Folgen. Dann kommt die Realpolitik, die Akzeptanz inakzeptabler Tatsachen: Uiguren, die zur Herstellung von Solarzellen gezwungen werden, oder Zwangsarbeiter, die in Kobalt- oder Coltanminen sterben, deren Ressourcen für unsere «sauberen» Technologien unverzichtbar sind.
Hinzu kommt das Gewicht des Marktkapitalismus, der die sogenannt grüne Energie in absurde oder sinnlose Zwecke verdreht: digitale Blockbuster, sogenannt soziale Netzwerke, Pornoplattformen oder Deepfakes. Wenn sie nicht sogar schädlich oder kriminell sind. Ohne Digitalisierung gäbe es keinen modernen Krieg und keinen Faschismus 2.0, der dennoch von jeder Weiterentwicklung profitiert. Mit anderen Worten: Selbst grüner Strom wird letztendlich von tödlichen Zielen der Zivilisation verschlungen, die die in ihn gesetzten Hoffnungen zunichtemachen.
Parallel dazu erleben wir eine fortschreitende Verkümmerung der menschlichen Fähigkeiten. Zunächst der praktischen, dann der intellektuellen – geschwächt durch die Bildschirme und digitalen Prothesen, die uns umgeben. Das Verständnis der grundlegenden Gesetze der Physik oder der Energie nimmt ab, auch bei Fachleuten. Sie werden vom Markt zu Teilergebnissen gezwungen, die den globalen ökologischen oder sozialen Zielen zuwiderlaufen. Dieser Kontext ist geprägt von Slogans, die zur Norm geworden sind: «The medium is the message», «The show must go on», «You’re in the matrix now». Solipsismus herrscht vor, eine andere Alternative gibt es nicht mehr, und man ist den Bürgern fast dankbar für ihre Unaufmerksamkeit.
Welche sozialen Hindernisse stehen dem solarthermischen Selbstbau im Weg?
Einer der grössten Bremsklötze ist der soziale Mitläufereffekt: Viele Menschen haben verlernt, eigenständig zu handeln, und neigen dazu, nur nachzuahmen, was andere tun – selbst wenn es offensichtlich in eine Sackgasse führt. Hinzu kommt ein weitverbreiteter Glaube an den technologischen Solutionismus – die Vorstellung, dass die Technologie alle Probleme selbstständig lösen wird, ohne dass wir unser Verhalten oder unsere Strukturen grundlegend verändern müssen.
Und nicht zuletzt steht dem Ganzen eine Aktionärsmentalität im Weg: der Wunsch, ohne Anstrengung zu profitieren – zu investieren, zu konsumieren, zu delegieren, aber sich nicht wirklich einzubringen.
Ein anschauliches Beispiel: Es war erschreckend einfach, Menschen in der Affäre PrimeEnergy um 120 Millionen zu prellen. Das zeigt, dass sich ein grosser Teil der Menschheit – auch im Bereich der erneuerbaren Energien – immer mehr wie eine kopflose Hühnerschar verhält: Sie rennt rein den Reflexen folgend umher, folgt ohne Bewusstsein für das, was sie tut, dem Strom und dem Abhang entgegen.
Was bringt die Selbstbau-Solarthermie über die Technik hinaus?
Sie vermittelt eine Kultur und Kompetenzen. Sie fördert technische wie soziale Autonomie durch Solidarität und gegenseitige Hilfe unter den Beteiligten. Man lernt nicht nur handwerklich, sondern versteht physikalische Zusammenhänge und die wirklichen, eigenen Bedürfnisse besser – fernab von abstrakten Diskussionen oder vorgefertigten Lösungen.
Und vor allem: Man pflegt die Liebe zur physischen Welt, den direkten Kontakt mit den Elementen und das sorgfältige Arbeiten mit Respekt dafür, was uns umgibt. Es ist eine Möglichkeit, zu einer gewissen praxisnahen Weisheit und persönlichen Entfaltung zurückzufinden, die weit über die rein technische Installation hinausgeht.
Welche Vorkenntnisse braucht man für den Selbstbau in der Solarthermie?
Diese Frage erscheint paradox, wenn man sie so stellt, denn was ist mit einem Neugeborenen? Es verfügt bei der Geburt über keinerlei Kompetenzen. Dennoch erwartet niemand, dass es sofort «leistungsfähig» oder selbstständig ist. Ein guter Grund, diese Wesen sofort auszusortieren, deren Ausbildung viel zu teuer wäre und deren Ergebnisse nicht ISO 14001 entsprechen würden – würden der zerstörerische Unternehmer oder die St. Galler Gnome sagen. Die Wahrheit ist, dass Menschen anfangs keine spezifischen Fähigkeiten haben. Alles hängt also von einer wohlwollenden Begleitung, administrativer und logistischer Unterstützung, anhaltender Konzentration und Geduld ab. Es ist ein menschlicher Prozess, der Zeit und Ausdauer erfordert. Willkommen bei den Menschen.
Glauben Sie, dass dieser Kompetenzverlust umkehrbar ist? Und wenn ja, wie?
In der Physik gilt: Sobald man sich vom Gleichgewicht entfernt, ist nichts mehr wirklich umkehrbar. Und das Leben von diesem Gleichgewicht abzutrennen – sei es durch Technoprogressivismus, Transhumanismus oder sogar manche «grüne» Ansätze –, bedeutet, Freiheit und Lebendigkeit zu opfern.
Dennoch ist es möglich, genug Wissen und Fähigkeiten zu bewahren, um eine lebenswerte Zukunft mitzugestalten. Wie? Indem wir diejenigen unterstützen, die noch standhalten, indem wir praktische Erfahrungen weitergeben und Werkzeuge und Methoden dokumentieren – und überall davon erzählen, ehrlich und offen, ohne PR-Schleier.
Wir können nicht alles rückgängig machen. Aber wir können noch lernen, weitergeben und Samen der Autonomie säen.
Ein letztes Wort?
Wir könnten das sein, was man als «Lazarus-Taxon» bezeichnet, ein Begriff aus der Paläontologie, der Arten bezeichnet, die als ausgestorben galten, aber später wider Erwarten wieder auftauchten. Regelmässig wird unser Ende angekündigt – unser kultureller, politischer oder intellektueller Untergang –, aber um es mit den Worten von Mark Twain zu sagen: «Die Berichte über meinen Tod sind stark übertrieben.»
Wir leben heute in einer Welt, die mit Botschaften, Daten und leeren Versprechungen übersättigt ist. Ein Universum, in dem Lärm herrscht – danke, William Shakespeare – «viel Lärm um nichts». In diesem Zusammenhang mag diese Aussage seltsam oder sogar absurd erscheinen, vor allem in einer Gesellschaft, in der Fortschritt sich selbst rechtfertigt. Man fördert ihn, weil er Fortschritt ist, das Neue, weil es neu ist – in einem rasanten, elektrisierten, grünen und automatisierten Rhythmus. Es ist eine Logik, in der man etwas um seiner selbst willen feiert, ohne sich jemals zu fragen, wer davon profitiert, was es ersetzt, wo seine Seele im Verhältnis zu unserer steht. Und das manchmal mit beeindruckendem Zynismus: «Ist das nicht toll?», scheint man dem Kind im Kongo, das zum Abbau von Kobalt gezwungen wird, oder den Tiefsee-Arthropoden, deren Lebensraum für unsere Batterien zerstört wird, sagen zu wollen.
Wenn man die Geschichte betrachtet – sowohl die alte als auch die jüngere –, sieht man, dass Pädagogiken, die auf das Gemeinwohl, auf Zusammenarbeit und Emanzipation ausgerichtet sind, oft kein Gewicht hatten gegenüber der Logik von Macht, Profit und Herrschaft, selbst wenn diese uns kollektiv in den Ruin treibt. Was bleibt uns also? Der Dialog und das Gespräch unter Gleichgesinnten. Wie vor 65 Millionen Jahren, als die grossen Dinosaurier die Welt beherrschten, waren wir andere Säugetiere – klein, unauffällig, widerstandsfähig – bereits da. Und wir lernten, im Schatten der Riesen zu leben. Es ist daher nur natürlich, dass wir mit denen, die uns ähnlich sind und die unsere Sprache sprechen, unsere Zweifel, unsere Hoffnungen, unsere Praktiken und unsere Sichtweise teilen.
Ich nehme jede Botschaft der Liebe, jedes Echo auf diesen Versuch der Erhellung und – ich hoffe – auch der Poesie mit Glück entgegen.
Und wer handeln will: Willkommen im «Kurs der Rückeroberung» (siehe Kasten). Und mehr, wenn wir uns verstehen.
Zur Person
Pascal Cretton
Für ihn ist Autonomie eine Lebensnotwendigkeit, eine Technik und eine Kunst des Teilens. Seit den 1990er-Jahren begleitet Pascal Cretton über 1300 Solarprojekte in der Westschweiz – nicht als Produkt, das verkauft werden soll, sondern als Kultur, die weitergegeben werden muss. Er ist Mitbegründer von Sebasol und aktiv bei Rhyner Energie Sàrl. Sein Motto: Menschen helfen, sich selbst zu helfen.