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Nordostschweizer Energie-Bürgerinitiativen im Austausch

Am 26. November haben sich auf Einladung der SSES-Regionalgruppe Nordostschweiz diverse Produzenten von erneuerbarer Energie aus der Region zum Erfahrungsaustausch getroffen. Themen waren Vermarktungskonzepte für Solarstrom, die Kooperation mit Elektrizitätswerken und das Zusammenspiel verschiedener erneuerbarer Energieträger.

Heini Lüthi/Redaktion

Quelle: Thomas Buchmüsser, Solarkraftwerk Wohlen SOKW
Quelle: Thomas Buchmüsser, Solarkraftwerk Wohlen SOKW

Es ist ein trüber Novembertag, an dem sich die Nordostschweizer Solarstrom-Produzenten in Wittenbach treffen. Oft werden Sonnenenergiefreunde bezüglich solcher Tage gefragt, woher da der Strom kommen soll. Heute steht die Antwort vor uns: Das Holzheizkraftwerk der St.Gallisch- Appenzellische Kraftwerke (SAK), das den Wärmeverbund Wittenbach speist. Die Dimensionen der Hackschnitzel-Silos und der Holzfeuerungen sind eindrücklich – unter Volllast werden stündlich über 9 m3 Schnitzel verbrannt. Mit dem aktuellen Ausbau vom Wärmeverbund kann die ORC-Wärme-Kraftkoppelung erst während rund 1500 Vollaststunden pro Jahr betrieben werden; die Holz-Wärme-Kraftkoppelungsanlage, welche in Gossau auch zur Holzpellettrocknung eingesetzt wird, kommt jährlich auf bis zu 6000 Vollaststunden. In Wittenbach produziert SAK mit dem 600 kW ORC-Modul etwas mehr Strom wie die Genossenschaft Solar St.Gallen auf ihren sieben PV-Dächern – saisonal ideal ergänzend.

Quelle: Thomas Buchmüsser, Solarkraftwerk Wohlen SOKW
Quelle: Thomas Buchmüsser, Solarkraftwerk Wohlen SOKW

Auf dem Dach der Heizzentrale stellt der SAK-Projektleiter Kurt Giger auch die Photovoltaik Testanlage vor, mit verschiedenen Aufständerungen zur Evaluierung einer Best-Practice im Zusammenspiel von Solar- und Gründach. Die PV-Anlage von beschattendem Gewächs frei zu halten, erfordert oft jährlich zwei Arbeitseinsätze, wie auch die Energiegenossenschaft Roggwil aus Erfahrung berichtet. Die 2008 gegründete Bürgerinitiative hat 2014 zwei einfache Gesellschaften mit total 86 Beteiligten zur Finanzierung von zwei stattlichen PV-Anlagen gegründet, die seither mit einer Rendite von über 4% Solarstrom für gut 200 Haushalte produzieren. Die frühzeitige KEV-Anmeldung und entsprechende Zusage der kostendeckenden Einspeisevergütung 2014 war entscheidend – ohne KEV stagniert die weitere Entwicklung. Wobei die EN-GE-RO dank solarer Rendite mittlerweile auch in eine Kleinwindanlage bei Vilters investiert hat.

Bürgerenergie wirkt

Idee des Treffens war auch der Austausch unter den verschiedenen Produzenten von erneuerbarer Energie aus der Region. Schweizweit gibt es über 100 Solargenossenschaften. Einige haben sich im Verband unabhängiger Energieversorger VESE zusammengeschlossen – einer Fachgruppe der SSES. Jede Bürgerinitiative ist einzigartig und lokal gewachsen. Der Verein Appenzeller Naturstrom wurde vor über 20 Jahren von tatkräftigen bürgerlichen Politikern gegründet, nachdem ihr energiepolitischer Vorstoss im Kantonsparlament zu wenig Unterstützung fand. Der Verein betreibt seit über 20 Jahren das zweiflüglige Windkraftwerk auf dem oberen Chürstein in Gais sowie zwei Kleinwasserkraftwerke und zwei PV-Anlagen. Was heute gängig ist, war in den Neunzigerjahren noch eine Pioniertat – die erste Solarstromanlage auf einer Scheune im Ausserrhoder Landwirtschaftsgebiet musste erkämpft werden. Auch nach über 20 Jahren liefern die mittlerweile weitgehend abgeschrieben Anlagen nach wie vor Strom für rund 125 Haushalte.
Die Solargenossenschaft Frauenfeld hat bei ihrer Gründung vor 25 Jahren vorerst selbst keine eigenen Anlagen betrieben, sondern ein PV-Fördermodell initiiert, das sich letztlich zum kantonalen Solarstrompool Thurgau weiterentwickelt hat. Die Solargenossenschaft – wie später der Solarstrompool – zahlte privaten PV-Bauherren einen Zuschuss und sicherte sich damit das Vermarktungsrecht für den ökologischen Mehrwert bzw. Herkunftsnachweis (HKN). Heute betreibt die Solargenossenschaft auch selbst zwei PV-Anlagen und vermietet der Öffentlichkeit ein Mitsubishi i-MiEV, um die Elektromobilität erlebbar zu machen.
Diskutiert werden auch Modelle wie jenes der GrabSolar AG: Die Aktionäre beziehen seit 2013 ihren eigenen Solarstrom über das örtliche Elektrizitätswerk, mit einem Zuschlag von weniger als 2 Rp/kWh. Auch Elektrizitätswerke experimentieren mit Solar-Bürgerbeteiligungsmodellen: In Zürich, Uster und Frauenfeld können Stromkunden quadratmeterweise PV-Anlagen finanzieren und sich damit «kostenlosen» Solarstrom über 20 Jahre sichern. In Frauenfeld kostet 1 m2 300 Franken und gibt Anspruch auf 100 kWh/Jahr. Einerseits zeugen Initiativen von Elektrizitätswerken von Offenheit für die Energiezukunft. Anderseits besteht durchaus die Gefahr, dass sie mit ihrer etablierten Position die Initiative von Solargenossenschaften konkurrenzieren. Grosse Dachflächen werden mittlerweile von verschiedenen Seiten angeworben. Das Wachstum der Genossenschaft Solar St.Gallen beispielsweise ist limitiert durch die Bereitschaft von Dacheigentümern, Nutzungsverträgen einzugehen – der Investitionswille der Bürger ist ungebremst.

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Ökologische Basisstromprodukte & faire HKN-Preise

Weil die nationale Energiestrategie politischen Gegenwind erfährt, sind kommunale Energiepolitik und Kooperationen mit Energieversorgern erfolgsentscheidend. Wenn alle Elektrizitätswerke wie SAK seit 2016 4 bis 5% Solarstrom über ihren Basisstrommix vermarkten würden, würde sich das Überangebot an Solarstrom-Herkunftsnachweisen reduzieren, sodass ein kostendeckender Preis zu erhoffen wäre. Nur 10% der Haushaltskunden wünschen explizit das 1 Rp/kWh günstigere Graustromprodukt; das «naturstrom star»-Produkt enthält gar 40% Solarstrom. Für 2017 kauft SAK 10 Mio kWh Solarstrom-HKN-Zertifikate über www.herkunftsnachweise.ch zu. 2016 gab es einen Mindestpreis von 5 Rp/kWh – was als Zusatz zum tiefen Strompreis (nur teilweise) kostendeckend sein kann. Auf dem freien Markt können hingegen Wasserkraft-Zertifikate aus Norwegen für 0.02 Rp/kWh gekauft werden – 100%-erneuerbar-Angebote auf dieser Basis sind fragwürdig. SAK bezieht die Herkunftsnachweise hingegen ausschliesslich aus der Region. Allerdings dürfen neu neben St.Galler und Appenzeller auch Thurgauer und Bündner PV-Produzenten an den SAK-HKN-Ausschreibungen teilnehmen. Der HKN-Preis wäre ohne Gebiets-Erweiterung wohl auf einem attraktiveren Niveau für die Produzenten, was aber zum Nachteil von SAK bzw. deren Konkurrenzfähigkeit im Hinblick auf eine Strommarktliberalisierung wäre. Auf www.oekostromboerse.ch, über die insbesondere Aargauer Energieversorger ihre Herkunftsnachweise ohne Gebietseinschränkung schweizweit einkaufen, liegen die erzielbaren Preise zwischen 0.5 bis 1.2 Rp/kWh – was für Solarstrombetreiber ein kleiner Zustupf ist, aber weit entfernt von einer Investitionssicherheit.

Direktvermarktung von Solarstrom

Heute wird nur etwa ein Drittel der Solarstromproduktion über die KEV gefördert – der Rest ist von lokalen Förderprogrammen abhängig oder hofft noch immer auf die KEV-Zusage. Eine wichtige Perspektive für alle, die noch auf die KEV hoffen, wurde von Fleco Power thematisiert: Wenn das neue Energiegesetz kommt – frühestens 2018 – sollen Solarstromproduzenten keinen fixen Einspeisetarif mehr erhalten. Der Solarstrom soll auf dem Strommarkt verkauft werden – je nach Tageszeit und Saison zu 2 bis 6 Rp/kWh; zusätzlich wird eine Einspeiseprämie bezahlt, die gewissermassen den ökologischen Mehrwert beziehungsweise als Herkunftsnachweis abgilt. Dies bietet einen Anreiz, bedarfsgerecht respektive zu Zeiten mit hohen Strompreisen einzuspeisen. Für PV-Anlagen – im Gegensatz zu Biogas- oder Wasserkraftanlagen – ist der Handlungsspielraum jedoch begrenzt. Mit Batteriespeichern bestehen gewisse Möglichkeiten; damit man billig eingelagerten Nachtstrom nicht tagsüber verkauft, kann das Elektrizitätswerk jedoch eine zusätzliche Lastgangmessung verlangen, deren Kosten einer Wirtschaftlichkeitsperspektive entgegen wirkt.

Es ist zu erwarten, dass auch Elektrizitätswerke den PV-Produzenten die Direktvermarktung anbieten werden; Fleco Power ist eine unabhängige Alternative, die ausschliesslich erneuerbaren Strom aus einem Portfolio von Biogas und Solarstromanlagen vermarktet. Die Fleco Power AG ist ein Joint Venture der MBRsolar AG («Maschinenbauring») und der Genossenschaft Ökostrom Schweiz, dem Verband der landwirtschaftlicher Biogasanlagenbetreiber. Die Direktvermarktung sollte zumindest theoretisch für den PV-Produzenten nicht weniger Ertrag als die KEV liefern – eine gewisse Verkomplizierung ist jedoch zu befürchten. Wer bereits die KEV ausbezahlt erhält, ist davon nicht betroffen. PV-Anlagen auf der KEV-Warteliste und Neuanlagen müssen sich jedoch mit dem Thema auseinandersetzen.