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40 Jahre Tour de Sol: Solarmobil-­Rennen als ­Innovations­motor

1984 diskutierte man innerhalb der SSES über ein «Solar­mobilrennen als Werbetour für die Solarenergie». Und tatsächlich gingen schliesslich in Romanshorn rund 60 Fahrzeuge an den Start. Das mediale Interesse war gross, und die Solarenergie konnte zeigen, was sie bereits zu leisten imstande war. Das Rennen war eine der Keimzellen für die Entwicklung der Photovoltaik. Es hat in der Schweiz eine Begeisterung für die Solarenergie ausgelöst, die wir heute mehr denn je brauchen könnten.

Text: Urs Muntwyler / Redaktion

Der Solarenergie ging es trotz Waldsterben und zweiter Ölkrise Anfang der 1980er-Jahre nicht gut. Die wenigen noch verbliebenen Solarfirmen kämpften ums Überleben. An der Vorstandssitzung der Regionalgruppe Bern-­Freiburg-Solothurn BEFRISO im September 1984 im Sekretariat der Schweizerischen Vereinigung für Sonnenenergie SSES in Bern war die Stimmung daher trübe. Da lancierte Solarunternehmer Josef Jenni seine Idee eines Solarmobilrennens «als Werbetour für die Solarenergie». SSES-Zentralsekretär Markus Heimlicher und Vorstandsmitglied Urs Muntwyler, Entwicklungsingenieur bei der Hasler AG, waren hell begeistert. Muntwyler war gerade zurück von der Montage einer solaren Stromversorgung für ein grösseres «Dispensaire» in Ruanda. Das Projekt war trotz vieler Unkenrufe erfolgreich, nur waren die verwendeten 36 PV-Module von je 30 Wp massiv zu teuer. Der Umweg über einen Massenmarkt in den reichen industrialisierten Ländern sollte Abhilfe schaffen. Diese Solarwerbetour passte daher prima ins Konzept. Schon bald kündigte Muntwyler bei der Hasler AG und organisierte im Anschluss die Tour de Sol von 1985 bis 1992.

Die Tour-de-Sol-Idee mobilisierte weitere BEFRISO-Mitglieder sowie Thomas Nordmann aus der Südostschweiz. Nach einer Lancierungspressekonferenz im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern und der Vorstellung der Tour de Sol durch Thomas Nordmann in der Fernsehsendung «Menschen Technik Wissenschaft (MTW)» war die Werbetour für die Solarenergie in aller Munde. Die Anmeldungen zum Rennen trudelten auch schon bald ein, und es tauchte die Frage auf, wo man denn diese «Solarmobile» kaufen könne. Die Initianten bemerkten, dass das etwas komplizierter werden würde. So erarbeitete Urs Muntwyler ein «Bezugsquellenverzeichnis für Solarfahrzeuge» und organisierte im Februar 1985 die Fachtagung «Technik der Solarfahrzeuge» im Restaurant «Innere Enge» in Bern. Dort waren auch schon zwei «Solarfahrzeuge» von Fritz Plattner und Josef und Erwin Jenni als Anschauungsobjekte zu sehen. Die Medien waren auch an diesem Anlass wieder dabei. Und in der Zwischenzeit hatte Markus Heimlicher die «Schweizer Illustrierte» als Hauptsponsorin für das Rennen gewonnen. Das gab etwas Geld in die Kassen und vor allem viel öffentliche Aufmerksamkeit im Vorfeld für die Tour de Sol 85, das erste Rennen mit Solarmobilen der Welt.

Technisches Reglement als Innovationsmotor

Ganz neu waren Solarmobile nicht. Die Initianten der Tour de Sol recherchierten weltweit zu allen entsprechenden Aktivitäten wie der Durchquerung Australiens von Perth nach Sidney von Perkins und Tholstrup 1982. Vor allem die Aktivitäten des englischen Erfinders Alan T. Freeman hatten es Urs Muntwyler angetan. Freeman baute kanuähnliche Solarfahrzeuge und Solarboote und hatte 1983 die Broschüre «Solar Energy for Motive Power» veröffentlicht. Auch von der gerade aufkommenden «Human power vehicle (HPV)»-Szene liessen die Initianten sich inspirieren. Dies insbesondere, was die physikalischen Rahmenbedingungen zur Berechnung des Energieverbrauchs anbelangte. Die Initianten der Tour de Sol waren sicher, dass die Energiebilanz eine Durchquerung der Schweiz ermöglichen würde.
Aufgeschreckt wurden sie allerdings von einem Artikel in der SSES-Zeitschrift «Sonnenenergie» von Tour-de-Sol-85-Teilnehmer Romeo Gridelli (Kategorie «Rennsolarmobile mit Zusatzantrieb») und seinen Fachleuten. Die Crew war Weltmeister im Sparmobilfahren und berechnete den Energieverbrauch für die Fahrt von Romanshorn nach Genf. Wenn man ihre Rechnung studierte, die auch das Beschleunigen und das Abbremsen beinhaltete, war die Fahrt gar nicht möglich. Muntwyler fand aber dann den Rechenfehler, und die Tour de Sol berechnete von da an die Energiebilanzen selbst. Dies speziell als etwas extravagantere Fahrten wie Passüberquerungen und die Fahrt über den Gotthard ins Auge gefasst wurden. Praktischerweise konnte Muntwyler die Berechnungen im Rahmen seines Unterrichts an der Gewerblich-Industriellen Berufsschule Bern (GIBB) im Fach «Physik» machen. Diese Auszubildenden waren somit die Ersten, die wussten, ob man über den Gotthard fahren könnte – was bei der fünften Tour de Sol 1989 dann auch gemacht wurde.
So erarbeitete Muntwyler als technischer Chef der Tour de Sol ein technisches Reglement, inspiriert durch den «Sporting Code für Flugmodelle» der Fédération Aéronautique Internationale (FAI). Als ehemaliger und neuerdings wieder aktiver Modellfreiflieger und Segelflugpilot kannte er sich mit technischen Reglementen aus. Geregelt wurden die Details. Dies sollte einerseits minimale Sicherheit und andererseits faire Bedingungen für alle garantieren. Gestartet wurde in zwei Kategorien:
«Rennsolarmobile» mit 480 Wp Solarleistung und einer Batteriekapazität von maximal 10 h, also 4800 Wh «Rennsolarmobile mit Zusatzantrieb» wie Pedalen mit mindestens 120 Wp Solarmodulen. Damit liess sich die vorhandene Energie für die 368 Kilometer lange Strecke mit 660 Metern Steigung ausrechnen.

Motorsport oder Velorennen?

Das Rennen sollte in fünf Etappen vom 23. bis 29. Juni 1985 von Romanshorn nach Genf führen. Dafür waren kantonale Bewilligungen und im Kanton Zürich eine Bewilligung von jeder einzelnen Gemeinde einzuholen, die durchfahren werden sollte. Da das Rennen mittels Zeitmessung auf nicht abgesperrten Strassen durchgeführt werden sollte, war das ein «motorsportlicher Anlass». Solche waren in der Schweiz auch Mitte der 1980er-Jahre verboten. Den Organisatoren kam aber die damalige Einschätzung der Solarenergie zu Hilfe. Die Poli­zisten meinten: «Solarenergie funktioniert nicht – die Fahrzeuge mit Zusatzantrieb haben Pedale – sie sind ein Velorennen.»

Route Tour de Sol 85 – quer durch die Schweiz

Die Etappenorte waren in der Deutschschweiz das Technorama in Winterthur und Infosolar beim Technikum in Brugg-Windisch. Beim Zieleinlauf hatten die Veranstalter einen alten Reisebus mit einer grossen Lautsprecheranlage als Rennbüro. Den hatte Muntwyler kurz vor der Tour de Sol bei einer lokalen Reitveranstaltung gefunden. In der Deutschschweiz hatte das Rennen bis zum Zielort Biel ordentlich Zuschauer. In Romanshorn und im Thurgau halfen die lokalen Medien mit, Publikum anzulocken. Die eine Zeitung meinte, es sei unverständlich, dass man um dieses «Seifenkisten-Rennen so ein Wesen» mache. Die andere Zeitung meinte, in Romanshorn würde «eine neue Epoche starten». Das Resultat dieser unterschiedlichen medialen Beurteilung: Viele Zuschauerinnen und Zuschauer wollten sich vor

Ort selbst ein Bild machen. Hinzu kam, dass auch die «Schweizer Illustrierte» eine grosse Vorberichterstattung gemacht hatte, was ebenfalls für viel öffentliches Interesse sorgte. In der Westschweiz hingegen war die Medienberichterstattung sehr viel schwächer ausgefallen. Und die «Illustré»-Leute guckten am Sonntag aus dem Fenster und waren sich sicher, dass aufgrund der eher schlechten Wetteraussichten die Tour de Sol 85 verschoben werden würde. In der Westschweiz engagierten sich die lokalen SSES-Sektionen für die Etappenorte in Neuenburg, beim LESO-Forschungscenter der EPFL und in Genf.

Spezieller Meteoservice von Meteotest AG

Für den Meteoservice verpflichteten die Veranstalter des Rennens die Berner Start-up-Firma Meteotest AG. Sie folgte der Tour de Sol mit einem speziellen Messfahrzeug. So wurden unter anderem die Solarstrahlung, die Windgeschwindigkeit und die Temperaturen gemessen. An den morgendlichen Briefings wurde jeweils eine Solarstrahlungsprognose vorgestellt. Das war wichtig für die Renntaktik der teilnehmenden Teams. Dieser Service der Meteotest AG dürfte eine weltweite Innovation gewesen sein.

Heute macht man dasselbe für die Produk­tions­prognosen von Solaranlagen, insbesondere von grossen Freiflächenanlagen.

Innovative Teilnehmer aller Gattung

Bereits nach der TV-Sendung «Menschen Technik Wissenschaft (MTW)» des Schweizer Fernsehens meldeten sich bekannte Grössen bei den Veranstaltern am Telefon. Darunter auch Romeo Gridelli, Teamchef eines Sparmobils, das den Weltmeistertitel gewonnen hatte. Schlussendlich nahmen Fahrzeuge der ETH Zürich, der Ingenieurschulen Rapperswil und Biel und vieler Konstrukteure aus

der Autoelektrikerszene teil. Die Velofabrik Villiger beteiligte sich mit zwei Fahrzeugen in der Kategorie «Rennsolarmobile mit Zusatzantrieb». Die Karosserie wurde von Horlacher AG aus Möhlin geliefert. Die Zweifler – die es damals reichlich gab – stellten die Veranstalter mit dem Teilnehmer «Mercedes-Benz – powered by Alpha Real» ruhig. Dem Schweizer Solarpionier Markus Real gelang es, Mercedes-Benz zur Teilnahme an der Tour de Sol zu bewegen. Der «Silberpfeil» war schlussendlich auch der Favorit in der Kategorie «Rennsolarmobile». Da das «Velorennen» schliesslich tatsächlich vom Fahrzeug «Mercedes-Benz – powered by Alpha Real» gewonnen wurde, das aber sehr wie der Mercedes «Silberpfeil» aussah, revidierten die Ämter ihre Einschätzung. Die Polizisten, das Bundesamt für Strassen und die kantonalen Strassenverkehrsämter gründeten daraufhin eine Kommission, dank der die Veranstalter bei den weiteren Tour-de-Sol-Rennen prima zusammenarbeiteten. Klar erreicht wurde das dem Rennen eigentlich zugrunde liegende Ziel: Die 58 startenden Solarmobile, ein enormes Medienaufkommen und viele Zuschauer brachten der Sonnenenergienutzung die von den BEFRISO-Vorstandsmitgliedern erhoffte Aufmerksamkeit.

27 Fahrzeuge trotz regnerischem Wetter mit der Sonne im Ziel

Das Wetter war für Ende Juni schlecht. Ab der zweiten Etappe von Winterthur nach Brugg wurde es immer bedeckter. Während der längsten Etappe von

Brugg nach Neuenburg war es regnerisch. Erst ab Mitte der Etappe von Neuenburg nach Lausanne besserte sich das Wetter wieder. So erschienen in Zeitungen Comics zur «Tour de pluie» (Regentour).
Allen Unkenrufen zum Trotz erreichten von 29 Rennsolarmobilen 12 das Ziel in Genf. Die Veranstalter hatten mit 6 gerechnet. In der Kategorie «Solarmobile mit Zusatzantrieb» erreichten 15 Fahrzeuge das Ziel. Alle anderen Solarmobile mussten unterwegs ihre Batterien aus dem Stromnetz nachladen, und einige wenige gaben auf. Die Rennzeit der Tour de Sol 85 endete eingangs Genf. Die Solarmobile wurden dann noch zum Palexpo-Ausstellungsgebäude des Genfer Autosalons gefahren. Es war dies die letzte Autoausstellung im Palexpo Genf vor dem Umzug des Autosalons zum Flughafen Genf.