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Geschichte

Wir danken unserem langjährigen Mitglied Jean-Marc Suter ganz herzlich für diesen Beitrag. 

Die SSES und ihr Umfeld 1974 bis heute

Mitglied der SSES seit 1978, habe ich die ersten Jahre der Vereinigung nicht persönlich erlebt. Dem Artikel ihres ersten Präsidenten und ETHZ-Professors, Pierre Fornallaz, in der Sondernummer der damaligen SSES-Zeitschrift „Sonnenenergie – Energie solaire“ zum 20. Jubiläum entnehme ich, dass das Thema „Wachstum und Umwelt“ eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Forschern der ETH Zürich, der Hochschule St. Gallen und der Privatwirtschaft beschäftigte. Zu dieser Zeit veröffentlichte das Club of Rome sein bekanntes Werk über die Grenzen des Wachstums und Amory Lovins plädierte in seinem ersten energiebezogenen Buch World Energy Strategies für eine dezentrale, nicht-nukleare Energieversorgung mit kleinen Anlagen. Der Krieg im Nahen Osten zeigte 1973 die Abhängigkeit der modernen Zivilisation von den fossilen Energieträgern unwiderlegbar. Parallel dazu bekämpfte die schweizerische Anti-Kernkraftwerk-Bewegung das Projekt Kaiseraugst. „Sonnenenergie nutzen!“ hiess das Gebot der Stunde.

Die Gründung der SSES

Da die Ergebnisse der erwähnten Arbeitsgruppe nicht in die Tat umgesetzt wurden, entschloss man sich, die SSES zu gründen. Sie sollte u.a. durch Öffentlichkeitsarbeit (Pressearbeit und Tagungen), Erfahrungsaustausch unter Fachleuten, Aus- und Weiterbildung von Fachkräften und Lobbyarbeit auf dem politischen Parkett die Nutzung der Sonnenenergie vorantreiben. Dabei war der Begriff „Sonnenenergie“ breit interpretiert: Die indirekten Nutzungsarten Windenergie, Holzenergie, Biogas, Umweltwärme und Wasserkraft sowie die Energieeffizienz gehörten unbedingt dazu. Die am 22. Juni 1974 gegründete SSES war die erste schweizerische Umweltorganisation, die sich um die Energiewende bemühte. Ihre Gründer fassten sie als schweizerischer Zweig der International Solar Energy Society (ISES) auf, die seit Jahrzehnten in mehreren Ländern, u.a. in den USA und Australien, tätig war, die Fachzeitschrift Solar Energy veröffentlichte und bereits damals jedes zweite Jahr den bekannten ISES World Congress organisierte.

Präsidentinnen und Präsidenten der SSES:

  • Walter Sachs 2017 –
  • Antonio Bauen 2015 – 2017
  • Annuscha Schmidt 2005 – 2015
  • Lucien Keller 1995 – 2005
  • Jean-Louis Scartezzini 1987 – 1995
  • Mario Camani 1983 – 1987
  • Doris Morf 1980 – 1983
  • Pierre Fornallaz 1974 – 1980

Innert fünf Jahren wurde jeder 1000. Schweizer/jede Schweizerin Mitglied der SSES. Acht SSES-Symposien wurden bis 1980 mit Teilnehmerzahlen zwischen 450 und 1000 durchgeführt. Schon 1976 präsentierte die Mustermesse Basel auf Anregung der SSES eine Sonderschau Sonnenenergie. Die SSES nutzte jede Gelegenheit, um die Aufmerksamkeit der Zeitungsleserschaft auf die Sonnenenergienutzung zu lenken. In der Presse entflammte sich eine Polemik über die Möglichkeiten und Grenzen der damals im Vordergrund stehenden Solarthermie im schweizerischen Klima. Der jährliche Wärmeertrag von Sonnenkollektoren wurde auf 700 kWh/m² von Befürwortern, 140 kWh/m² von Gegnern der Solarthermie geschätzt. Schlagzeilen machten die Nachrichten von Eigentümern von Sonnenkollektoranlagen, die durch den Konkurs der Installationsfirma mit einer nicht funktionsfähigen Anlage und ohne jegliches Anlageschema im Stich gelassen wurden. Nach und nach veröffentlichten die Sonnenenergie-Forscher am damaligen Eidg. Institut für Reaktorforschung (EIR) in Würenlingen (heute das Paul Scherrer Institut), deren Projektleiter ich war, gemessene Kollektorertragsdaten und die Gründe für fehlgeschlagene Solaranlagen. Die Branche beseitigte Kinderkrankheiten ihrer Erzeugnisse und brachte leistungsfähige, betriebssichere Solaranlagen auf den Markt. Danach hiess es bei den Gegnern nicht mehr: „Sonnenergie bringt nichts“, sondern „Sonnenenergie ist zu teuer“.

1979 fand mit der Gründung des Sonnenergie-Fachverbands Schweiz (SOFAS) eine Aufteilung der Tätigkeiten dem Zielpublikum entsprechend statt. Der SOFAS wendete sich an die Unternehmungen der Branche. Eines seiner Ziele war die Qualitätssicherung der gebauten Anlagen. Der SSES blieben die in Zusammenhang mit der breiten Öffentlichkeit stehenden Aufgaben. 2002 löste sich der SOFAS auf. Nach einer dreijährigen Übergangszeit unter dem Namen SOLAR wurden ihre Aufgaben Swissolar übertragen.

Das rasante Wachstum der Mitgliederzahlen in den 1970er Jahren brachte der SSES organisatorische Schwierigkeiten. Einige Jahre lang war das Sekretariat überfordert. War die Mitgliederzahl 4000 oder 8000? Wie viele Exemplare der Zeitschrift sollten gedruckt werden? Wie gross sind die Einnahmen aus den Mitgliederbeiträgen? Eine Antwort auf diese Desorganisation war die Einführung der noch heute geltenden föderalistischen Struktur der Vereinigung. 13 Regionalgruppen mit eigener Verwaltung und Budget wurden geschaffen. Die Desorganisation kostete zudem dem Präsidenten sein Amt. Pierre Fornallaz behielt jedoch noch die redaktionelle Verantwortung für die Zeitschrift. Etwas später musste er wegen angeblicher Budgetüberschreitung auch diese Funktion abgeben.

Die SSES, eine subversive linke Organisation?

Es war die Zeit des kalten Krieges und der „Fichenaffäre“, welche das Schweizer Volk und das Bundesparlament beschäftigte. Die SSES war für verschiedene rechts orientierte, politische Kreise suspekt. Ist sie eine subversive linke Organisation? Ein Oberoffizier im Generalstab der Schweizer Armee wurde von diesen Kreisen als Geschäftsführer der SSES „eingeschleust“. Er sammelte Informationen und versuchte, deutschschweizerische Mitglieder gegen Romands auszuspielen. Der Vorstand merkte es erst nach einem Jahr. An der ausserordentlichen Delegiertenversammlung vom 23. April 1983 klärte sich die Lage. Unter der Leitung des Tagespräsidenten Thomas Nordmann, der eine enorme Kuhglocke zur Wiederherstellung der Ruhe im Saal einsetzte, wurde die Entlassung des Geschäftsführers bestätigt. Mehrere Regionalgruppen waren mit diesem Entscheid jedoch überhaupt nicht einverstanden und verliessen die SSES. Einige Jahre lang bildeten sie die parallele Vereinigung BIOSOL. Später kehrten sie zur SSES zurück. Die SSES konnte nach einiger Zeit in einem Gerichtsverfahren mit der Unterstützung vom Rechtsanwalt Moritz Leuenberger – zukünftiger Bundesrat – ihr Vermögen bis auf rund 10% zurückerhalten.

Um die Turbulenzen der Energiepolitik in diesen Jahren zu illustrieren, möchte ich vom „roten Büchlein“ sprechen, das 1979 mein damaliger Abteilungsleiter Walter Seifritz mit dem Titel Sanfte Energietechnologie – Hoffnung oder Utopie? veröffentlichte. Unbarmherzig bestritt er alle Vorteile der Sonnenenergie. Diese sei nicht erneuerbar, nicht sicher, teuer und nicht rentabel, nicht speicherbar und nicht unbegrenzt verfügbar, umweltschädlich, asozial, inhuman und sogar nicht christlich(!). „Die Förderer der Sonnenenergie stammen durchwegs aus dem Kreis unzufriedener, zivilisationsmüder Intellektueller der oberen Mittelschicht“. Die SSES reagierte mit einem einmaligen, zwölfseitigen Sonderdruck Energiepolitik für den Menschen mit einer Auflage von 11‘000 Exemplaren. Genug der Polemik war der Titel des Beitrags, welcher die drei für das Sonnenenergie-Projekt des EIR verantwortlichen Forscher schrieben. Auch Thomas Nordmann widerlegte Seifritz Berechnung des Erntefaktors: In ihrer Lebensdauer liefert eine Solarthermie-Anlage deutlich mehr Energie als für ihre Herstellung verbraucht wird. Leider gibt es immer noch heute Leserbrief-Autoren, welche am positiven Effekt der Substitution fossiler Energieträger durch Solarwärme zweifeln. Auch die weiteren sieben Artikel des SSES-Sonderdrucks sind besonders interessant.

Nach der internen Krise von 1983 unternahm der Vorstand eine systematische interne Reorganisation unter der Leitung seines Präsidenten, Mario Camani. Der Sekretär Markus Heimlicher bereinigte die Mitgliederliste. Es kam eine Mitgliederzahl von rund 5000 heraus, die sie bis heute mit einem Höchstwert von 8400 im Jahre 1993 zu halten vermochte. Als das „Waldsterben“ sowie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 der Sonnenenergienutzung einen neuen Schub in der öffentlichen Meinung verliehen, war die Vereinigung bereit. Sie hatte die Durststrecke des wieder billig gewordenen Erdöls und der internen Probleme überstanden. Am 1. Juli 1987 übernahm der langjährige Zentralsekretär Beat Gerber (bis 2016) sein Amt.

1985 wurde die erste Tour de Sol organisiert. 65 photovoltaisch (und gegebenenfalls mit Muskelkraft) angetriebene, leichte Fahrzeuge überquerten die Schweiz vom Bodensee nach Genf. Es war vom Marketing-Standpunkt aus insbesondere in der Deutschschweiz ein Riesenerfolg. In Scharen versammelten sich die Zuschauer, um diese neuartigen merkwürdigen Mobile zu sehen. Die Tour de Sol wurde jedes Jahr bis 1993 durchgeführt.

In Österreich wirkte der Selbstbau von Solaranlagen in den 1980er Jahren besonders wirksam als „Katalysator“ für den Entscheid, eine eigene thermische Solaranlage zu installieren. „Mein Nachbar hat es geschafft, eine funktionstüchtige Solaranlage selbst zu bauen. Wenn ich eine schlüsselfertige Solaranlage bestelle, trage ich also kein grösseres Risiko.“, war die Überlegung zahlreicher Hauseigentümer. Von dieser Idee begeistert, ergriffen der Bündner Reto Schmid, SSES-Mitglied, und die Regionalgruppe Aargau der SSES (Projektleiter: Walter Meier-Istvan) unabhängig voneinander Initiative und führten den Selbstbau mit der Unterstützung des Bundesamtes für Energie (BFE) in die Schweiz ein. Daraus wurden die beiden Vereine Solar Schweiz und SEBASOL, die in der Ost- und Zentralschweiz bzw. in der Nordwest- und Westschweiz tätig waren. 1999 fusionierten sie unter dem Namen Solar Support. Unter ihrer Leitung wurden Hunderte von thermischen Solaranlagen gebaut. Während die Tätigkeiten in der Deutschschweiz nach und nach auf ein Minimum reduziert wurden, florieren sie noch heute in der Romandie, wo SEBASOL bis heute über 1000 (teils selbstgebaute, teils schlüsselfertige) Solaranlagen unter der Koordination von Pascal Cretton erstellte.

2003 führte die SSES ein ambitioniertes Projekt durch: Photovoltaische Module mit einer Gesamtfläche von 560 m² wurden auf das Dach der Halle 6 von Palexpo in Genf installiert. Lucien Keller, damals Präsident der SSES, zusammen mit Roger Rhyner und Lucien Bringolf, Mitglieder des Bundesvorstands, brachten dieses schwieriges Projekt im Namen der SSES zum Erfolg. Die Schwierigkeiten waren sowohl administrativer als auch technischer Natur. 2005 wurden die photovoltaischen Module der Interplan Forcelec AG verkauft, da der Stromverkauf nicht zu den Kernaktivitäten der SSES gehört. Die Anlage erzeugt jährlich 63’000 kWh, die als grüne Elektrizität durch die Services industriels de Genève vermarktet werden.

Radikale Veränderung definieren die SSES neu

Die folgenden Jahrzehnte waren durch radikale Veränderungen des Umfelds geprägt. Der Begriff „erneuerbare Energien“ ersetzte das bisherige Konzept der breit interpretierten Sonnenenergienutzung. Heute versteht man unter Sonnenenergie nur die photovoltaische und die thermische Nutzungen sowie die Solararchitektur. Der Titel der Zeitschrift wurde 2002 dementsprechend in Erneuerbare Energien geändert. Sie erscheint in zwei getrennten Ausgaben (deutsch/französisch). Da wir uns aber immer noch auch mit indirekten Nutzungsarten der Sonnenenergie befassen, diskutiert man seit einiger Zeit über einen Namenwechsel der Vereinigung, welcher zudem die Vorteile haben sollte, in allen Landessprachen selbsterklärender für die Ziele der Vereinigung zu sein als der heutige Kürzel SSES und die häufige Verwechslung mit der SES, der Schweizerischen Energiestiftung, zu vermeiden.

Eine weitere Veränderung des Umfelds ist die Tatsache, dass grössere Vereinigungen wie der WWF und Greenpeace in der Öffentlichkeit für eine erneuerbare Energiestrategie eintreten, während die SSES sich weniger laut auf der politischen Szene engagiert, so dass ihre Aktivitäten sich heute im Schatten der grossen Umweltorganisationen abwickeln. Ihr Bekanntheitsgrad leidet daran, obwohl ihre Aktivitäten lokal und regional durchaus Wirkung zeigen.

Mit der nach der Fukushima Reaktorkatastrophe von 2011 beschlossenen Energiewende wird eine rasante Zunahme der gebauten dezentralen Energieanlagen erwartet. Sie ist für die Erreichung der Ziele der vom Schweizer Stimmvolk genehmigten Energiestrategie 2050 nötig. Dabei ist es von primärer Wichtigkeit, dass die Qualität der gebauten Anlagen eingehalten wird. Trotz aller Bemühungen der Fachverbände gibt es noch heute Anlagen, die gewisse Mängel aufweisen. Die neu involvierten Fachkräfte sind nicht immer dem Stand der Technik gewachsen. Insbesondere bei der Solarthermie kann es vorkommen, dass der Beitrag der Sonnenenergie zur Wärmeerzeugung nicht dem Planungswert entspricht, ohne dass der Anlagebesitzer es merkt. Die Anlage liefert ja immer noch Wärme, diesmal aber aus Zusatzenergie statt Sonne. Mit der Unterstützung des BFE führt die SSES seit 2013 Informationsveranstaltungen Funktioniert meine Solaranlage einwandfrei? – Optimierung, Wartung und Qualitätssicherung von Solaranlagen und neutrale Solaranlagenchecks erfolgreich durch. Mit der Gründung des Fachverbandes VESE im Jahr 2014 wurde zudem eine Fachgruppe der SSES und 2018 das forumE.ch als Plattform für Solaranlagebesitzer/innen und Solargenossenschaften – sowohl Photovoltaik als auch Solarthermie, immer mit Energieeffizienz im Hintergrund – ins Leben gerufen. Die SSES sieht somit die Unterstützung der Eigentümer dezentral produzierender Energieanlagen als einen ihrer Schwerpunkttätigkeiten für die Zukunft. Zudem betreibt sie weiterhin Informations- und Öffentlichkeitsarbeit, wie beispielsweise durch die Anwesenheit an den grössten Schweizer Baumessen oder mit dem schweizweiten Projekt „Tage der Sonne“.

In der Vergangenheit war die SSES Initiantin zahlreicher innovativer Aktivitäten. Sie verstand es, sich immer wieder an Veränderungen ihres Umfelds anzupassen. Die Energiewende ist für sie ein Grund mehr, sich für ihre immer noch gültigen Ziele der ersten Stunde tatkräftig zu engagieren.

 

Zuletzt editiert im Juli 2018.