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«Schweizer Solargeschichten» Mit Künstlicher Intelligenz zur Energiewende?

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Haben Sie eine Solaranlage zu Hause oder sind an einer beteiligt? Warum – oder warum nicht? ­Solarexperten und weitere Fachleute geben verschiedenste Antworten zu den Gründen, doch ein neues ­Forschungsprojekt an der ETH Zürich will es von den Menschen direkt wissen.

Text: Marie Leifeld

Das kleine Team um den Ingenieur Benjamin Sawicki arbeitet seit Mitte 2024 am Forschungsprojekt «Schweizer Solargeschichten». Über eine Umfrage sammelt es Daten von Teilnehmenden. Daraus werden die persönlichen Beweggründe – oder Bedenken – er­mittelt, die den Ausschlag dafür gegeben haben, warum eine Person in ihrem Zuhause eine Solaranlage betreibt oder es eben (noch) nicht tun. Die Forschenden wollen herausfinden, ob beispielsweise individuelle, wirtschaftliche oder strukturelle Faktoren ausschlag­gebend sind. Oder beeinflussen Vorurteile oder das Image der Solarenergie an sich die Entscheidung? Zusätzlich sammelt das Projekt Erfahrungswissen von Kleinanlagenbesitzenden. Zu den abgefragten Themen gehören der Unterhalt der Produktionsanlagen, das Betriebsmonitoring und die mit dem Betrieb verbundenen Kosten. Das langfristige Ziel ist es, durch die Weitergabe der gesammelten Erfahrungswerte die Barrieren für diejenigen Leute zu minimieren, die an einer eigenen Stromproduktion interessiert sind. Egal ob sie selbst Solarstrom produzieren oder nicht, können alle unkompliziert online an der Befragung teilnehmen. Dadurch erhoffen sich die Forschenden eine möglichst grosse Anzahl an Antworten für die Auswertung. Sawicki geht es dabei explizit darum, aktuelle und zukünftige private Anlagenbesitzende in den Fokus zu stellen: «Die privaten Solaranlagenbetreiber sind ein wichtiges, oft übersehenes Element der Energiewende. Wir möchten ihre Erfahrungen sichtbar machen – und gleichzeitig besser verstehen, warum andere noch zögern.» Die Resultate sollen nicht nur für weitere Forschungszwecke verwendet werden. Das Forschungsteam will die Erkenntnisse auch öffentlich präsentieren, um sie Einzelnen sowie gesellschaftlichen und politischen Akteuren zur Verfügung zu stellen. So können die Forschung und ihre Ergebnisse beispielsweise bei Gemeindeveranstaltungen über Solarstrom zum Einsatz kommen. Benjamin Sawicki bietet auch an, das Forschungsprojekt an einer Veranstaltung vorzustellen und Interessierten die Gelegenheit zu geben, direkt vor Ort mit dem Umfrage-Chatbot zu interagieren. Zuletzt war dies in Sursee am 7. Mai am Informationsanlass «Energie am Gebäude» im Rahmen der nationalen Tage der Sonne möglich. Auch Workshops, an denen die Erkenntnisse aus dem Projekt an solarinteressierte Bürgerinnen und Bürger weitergegeben werden, sind denkbar.
Die Forschenden der ETH konzentrieren sich auf den Faktor Mensch, weil die Umsetzung und Anwendung der Forschungs­ergebnisse in der Praxis in einem sozialen Kontext geschieht. In der Energiewendeforschung sei es wichtig, Erfahrungen der Bevölkerung einzubeziehen und komplexe Themen verständlich zu vermitteln. Der Austausch zwischen Bevölkerung und Forschenden kann Missverständnisse oder Fehlkommunikation verringern, so die Idee des ETH-Teams. In einem laufenden Projekt wie diesem können die Wissenschaftler über eine Plattform wie «Schweizer Solargeschichten» direkt Feedback erhalten, das sie für Anpassungen verwenden können. Der KI-Chatbot soll somit als Vermittler funktionieren, der das Verständnis technischer Lösungen und somit auch deren Akzeptanz vergrössern kann.

Befragung mithilfe von KI-Programm – bald ein gängiges Forschungsinstrument?

In einer Pilotphase des Projekts wurden ausschliesslich sogenannte Solarpioniere befragt, also Menschen, die bereits ein Kleinkraftwerk betreiben. Als diese ersten Daten zur Verfügung standen, begann die zweite Projektphase. Seit Dezember 2024 können nun alle Solarinteressierten die Umfrage ausfüllen. So wollen die Forschenden die Verhaltensweisen und die Entscheidungsfindung im Kontext der Energiewende besser verstehen. Der Chatbot wurde so programmiert, dass er Vorurteile abbaut und Missverständnisse aufklärt. KI-Programme bergen das Risiko von Fehlinformationen – darauf weist auch das Forschungsteam hin. Es gibt aber auch bedeutende Vorteile des Chatbots: «Damit kombinieren wir die Tiefe qualitativer Interviews mit der Skalierbarkeit klassischer Umfragen», so Sawicki. Während der Befragung kann der Chatbot bei Bedarf nachfragen oder eine Aussage von der antwortenden Person selbst erklären lassen. Die Befragten sind so – anders als in konventionellen Umfragen – in ihrer Antwortmöglichkeit nicht eingeschränkt und werden durch die dia­log­artige Befragung ermutigt, möglichst ausführlich zu antworten.

Erfahrung mit partizipativer Forschung

Die Forscher der ETH arbeiten im Bereich der Energie nicht zum ersten Mal mit Bürgerforschung. In Walenstadt wurden in Zusammenarbeit mit dem Wasser- und Elektrizitätswerk (WEW) bereits mehrere Projekte umgesetzt.
Partizipative Forschung wie diese, auf Englisch auch Citizen Science genannt, hat neben der Datensammlung auch das Ziel, Laien in die Wissenserweiterung einzubinden. Am besten bekannt ist dies wohl aus der Tierforschung, wo beispielsweise die Häufigkeit und Verbreitung von Vögeln mit der Hilfe von Hobbyornithologen dokumentiert wird. Forschende kommen auf diesem Weg an Daten und Datenmengen, für die sie sonst enorme zeitliche und finanzielle Ressourcen aufwenden müssten. In der letzten Projektphase spielen Freiwillige wieder eine wichtige Rolle. Die um­fassende Auswertung der Umfragedaten startet am 11. und 12. September an den Schweizer Energy Data Hackdays, wo interdisziplinäre Teams aus Freiwilligen die Unterhaltungen analysieren werden. Am Ende der zweitägigen Veranstaltung werden die Ergebnisse vorgestellt und sind danach öffentlich zugänglich.

Erste Ergebnisse bestätigen bekanntes

Ende März wurden die ersten Ergebnisse online präsentiert. Interessant ist, dass fast die Hälfte der Befragten selbst keine PV-­Anlage besitzt, sich aber für das Thema interessiert. Besonders Mieterinnen und Mieter sind eingeschränkt, eine Solaranlage am eigenen Zuhause zu realisieren. Auch Stockwerkeigentümer äus­sern, dass sie in ihrer Handlungsfreiheit begrenzt sind. Diese Fakten sind Fachleuten und Interessenverbänden gut bekannt. Als weitere Gründe, die dem Anlagenbau im Weg stehen, wurden finanzielle Hürden, technische Einschränkungen, Wissenslücken und Umwelt- und Nachhaltigkeitsbedenken angegeben.
Aus den Antworten der Anlagenbesitzenden ziehen die Forschenden bereits einige praxisnahe Empfehlungen, die an die Solarinteressierten weitergegeben werden. Je mehr Personen an der Befragung teilnehmen, desto aussagekräftiger werden die Ergebnisse und die daraus abgeleiteten Empfehlungen an Solarinteressierte. Es braucht also weiterhin Personen, die die Umfrage via Chatbot ausfüllen.
Sawicki erhofft sich, durch Projekte wie die «Schweizer Solargeschichten» mehr Menschen dazu zu bewegen, ihr Zuhause als aktive Komponente im Energiesystem zu verstehen. Auch Sie sind also angesprochen, Ihre Geschichte zu erzählen – denn jede davon zählt. Sie können den KI-Chatbot online selbst testen.

https://chat.solarpionier.ch

Der Chatbot im Selbstversuch

Vor dem Ausfüllen bin ich auf zwei Sachen gespannt: Fühlt sich die Befragung im Chatbot tatsächlich wie ein Dialog an? Und erhalte ich für mich zugeschnittene, hilfreiche Informationen oder Tipps. Zu Beginn werden zwei grundsätzliche Fragen gestellt. Besitze ich eine Solaranlage? Und wie schätze ich mein Wissen über Solarenergie ein? Danach geht es los: Was hat mich bisher davon abgehalten, in eine Solaranlage zu investieren? Ich beschreibe meine Situation, unter anderem, dass die Verwaltung sehr abwehrend auf Anfragen oder Vorschläge reagiert. Der Chatbot geht inhaltlich sehr individuell auf meine Antwort ein. Er fragt nach, ob ich eher an einer eigenen Anlage oder an Beteiligungen interessiert bin. Da ich über die Teilhabe an Genossenschaften, Vereinen und solaren Crowdfundings gut informiert bin, will ich wissen, was er mir rät, wenn ich als Mieterin am oder auf dem eigenen Zuhause ein Kleinkraftwerk realisieren will. Er macht konkrete Vorschläge, wie ich auf relevante Akteure zugehen kann – inklusive Argumenten und Hinweisen auf Fördermittel. Auf die Nachfrage, wie die Situation der Förderung in meiner Region aussieht, verweist das Programm darauf, dass sich die Regelungen regelmässig ändern. Der Chatbot erkennt also, worauf er mir antworten kann und wo es besser ist, mich an eine zuständige Stelle zu verweisen. Gleichzeitig fragt die KI nach, ob ich Ideen zum genauen Vorgehen habe. Ursprünglich wollte ich nur aus Neugier teilnehmen – nun denke ich über einen Plan nach! Ich schreibe noch einige Male hin und her, bis ich entscheide, den Austausch zu beenden. Oben rechts wähle ich den Button «Er­ledigt? Klicken Sie hier.». Ich bewerte den Austausch und beantworte die Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass ich meine eigene Kleinanlage bauen werde. Konkrete Verbesserungsvorschläge kann ich in einem leeren Feld hinzufügen. Einziger Kritikpunkt: Der Chatbot hat kein Balkonkraftwerk vorgeschlagen. Ich bin positiv überrascht, wie sehr sich die Befragung wie ein Gespräch angefühlt hat. Der Chatbot hat mich immer wieder nach meiner eigenen Meinung gefragt und gleichzeitig nützliche Hinweise gegeben. Wie bei jeder Interaktion mit KI gilt auch hier: Je detaillierter meine Angaben, desto spezifischer die Antworten.
Obwohl das Ganze von mir eher als Gedankenexperiment gedacht war und ich die Erfolgschancen, meine Verwaltung zu überzeugen, als sehr gering einschätze, hat es mich doch ein bisschen gepackt, der Sache nachzugehen. Warum? Die gezielte Reaktion auf meine Aussagen und das Rückfragen haben mich motiviert, eigene Ideen zu entwickeln. Die handfesten Empfehlungen haben mein Gedankenexperiment plötzlich real und greifbar gemacht.