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MuKEn 2025: Neue Vorschriften für mehr solares Bauen

In den letzten Jahren wurden so viele Photovoltaikanlagen auf Dächern in der Schweiz installiert, dass sie heute vielfach bereits zum architektonischen Erscheinungsbild der Dörfer gehören. Wenn es nach dem Willen der kantonalen Energiedirektoren geht, dürfte sich dieser Effekt noch verstärken. Sie wollen, dass künftig nicht nur bei Neubauten, sondern auch bei Dachsanierungen der Einsatz von Photovoltaik zur Pflicht wird. Das dürfte in den Kantonen zu harten politischen Auseinandersetzungen führen.

Text: Beat Kohler

Die Solarenergie verändert die Baukultur. Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren noch beschleunigen. Während im alten Jahrtausend Photovoltaikanlagen noch die absolute Ausnahme waren und einzig thermische Solaranlagen ab und an sichtbar waren, so werden nach dem Zubau in den letzten 20 Jahren in Zukunft Photovoltaikanlagen zum Standard werden – insbesondere bei Neubauten. Die Photovoltaik wird noch stärker zu einem prägenden Element der Architektur. Darauf müssen sich Planende und Bauherrschaften einstellen, da praktisch alle Kantone Vorschriften zur Eigenstrom­erzeugung gemäss den Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) aus dem Jahr 2014 eingeführt haben. Auch wenn die Forderung nach Solaranlagen in den Kantonen unterschiedlich ausgestaltet ist, so ist die Stossrichtung klar.

Energiedirektoren wollen noch mehr PV auf den Dächern

Die Nutzung von Solarenergie wird besonders beim Bau von neuen Gebäuden noch wichtiger werden, wie nach der Verabschiedung der MuKEn 2025 durch die Konferenz Kantonaler Energiedirektoren (EnDK) Ende August 2025 klar wurde. Mit dieser Revision sollen die harmonisierten Energievorschriften der Kantone für Gebäude an den Stand der Technik angepasst werden. Um nachhaltig und ressourcenschonend zu bauen, machen die MuKEn 2025 bei Neubauten Empfehlungen zu Dämmung, erneuerbaren Heizsystemen, Solarstrom und grauer Energie. «Mit der Revision werden die Anforderungen an Neubauten pragmatisch weiterentwickelt», erklärt die Energiedirektorenkonferenz. Eine Neuerung, die in den Kantonen bei der Einführung neuer Gesetze viel zu reden geben wird, sind die neuen Grenzwerte für die graue Energie bei der Erstellung von Neubauten. Weniger konfliktbeladen dürften die erhöhten Anforderungen bei der Eigenstromerzeugung sein, die insbesondere durch die «systematischere Installation von Photovoltaikanlagen» erfüllt werden sollen. Denn damit soll auf die fortschreitende Elektrifizierung von Gebäuden durch die vermehrte Nutzung von Wärmepumpen und der Elektromobilität reagiert werden. Weniger strikt sind die neuen MuKEn bei Sanierungen, auch wenn erneuerbar zu heizen und den eigenen Solarstrom zu nutzen auch hier das Ziel der Revision ist. So soll bei umfangreichen Dachsanierungen eine PV-Anlage zur Eigenstromerzeugung neu zur Pflicht werden. Die MuKEn 2025 werden also einen grossen Einfluss darauf haben, wie der Gebäudepark in der Schweiz in Zukunft erscheint.

Kantone sind nun in der Pflicht

Die Reaktionen auf die neuen Mustervorschriften sind verhalten positiv. Die aeesuisse begrüsst diese und fordert deren rasche und einheitliche Umsetzung durch die Kantone. Die Erfahrungen mit den MuKEn 2014 hätten gezeigt, dass die Umsetzung in vielen Kantonen sehr lange dauere und teilweise unvollständig bleibe. So führt beispielsweise der Kanton Bern erst auf Anfang des kommenden Jahres Vorschriften zur Eigenstromerzeugung bei Neubauten ein. Die aeesuisse betont, dass gerade im Gebäudebereich die Steigerung der Energieeffizienz für das Gelingen der Energiewende zentral sei – insbesondere mit Blick auf die Stromproduktion im Winter. «Effizienz bleibt die wichtigste ‹Energiequelle›. Jedoch hinkt der Gebäudepark den gesetzten Zielen weiterhin hinterher», stellt die aeesuisse fest. Dennoch steht der Verband einer Sanierungspflicht inklusive einer Frist für ältere Gebäude, wie sie die EnDK neu vorsieht, kritisch gegenüber. Dies könne die Akzeptanz künftiger Gesetzesrevisionen in den Kantonen gefährden.

Weitergehende Forderungen stehen im Raum

Viele kritische Punkte in den neuen MuKEn sieht auch die Schweizerische Energiestiftung SES, auch wenn sie diese grundsätzlich unterstützt. Generell rät die SES, den obligatorischen Teil der MuKEn 2025, das sogenannte Basismodul, um weitere Themenfelder wie graue Energie, Elektromobilität und Energieplanung zu erweitern und den Geltungsbereich nicht auf Neubauten zu beschränken. «Diese Einschränkung ist unverständlich, bieten die viel zahlreicheren Bestandesbauten in beiden Themen doch ein deutlich grösseres Potenzial zur Reduktion der Treibhausgasemissionen», erklärt Thomas Wälchli, Leiter Fachbereich Nachhaltige Energienutzung SES. Auch die SES weist darauf hin, dass die Kantone die neuen Vorschriften rasch implementieren müssen, wenn eine positive Wirkung erzielt werden soll. Der Verband Schweizerischer Elektroinstallationsfirmen EIT.swiss sieht für die Zielerreichung vier Schwerpunkte: die vollständige Energieautonomie von Wohnbauten durch den Ausbau von Photovoltaik und Speichersystemen, eine weitgehende Ausstattung mit automatischen Systemen zur Reduktion des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen, die konsequente Betriebsoptimierung während des gesamten Lebenszyklus sowie eine Verbindung in Zusammenschlüssen zum Eigenverbrauch (ZEV) und zu lokalen Elektrizitätsgemeinschaften (LEG), um mehr Elektrizität ins Netz einzuspeisen. Auch für EIT.swiss ist klar, dass sich die Massnahmen nicht mehr nur auf Neubauten beschränken dürfen und die Kantone schneller vorwärtsmachen müssen, als dies bei den MuKEn 2014 der Fall war.

Hauseigentümer wehren sich gegen neue Vorgaben

Auf der anderen Seite kritisiert der Schweizer Hauseigentümerverband HEV eine Beschleunigung der regulatorischen Vorgaben. Vielmehr fordert der HEV, dass der Bund die Streichungen im Gebäudeprogramm überdenken soll. «Einerseits sollen die MuKEn 2025 den Weg zu netto null beschleunigen, da befürchtet wird, dass im bisherigen Tempo das grosse Netto-null-Ziel 2050 verfehlt wird. Andererseits werden durch die Streichung des Gebäudeprogramms und die damit verbundenen massiven Kürzungen von Fördergeldern bestehende Anreize für Gebäudesanierungen im grossen Stil abgebaut. Irgendwie scheint das vom Bund entworfene grosse Puzzle hin zum Klimaziel 2050 noch nicht ganz aufzugehen», schreibt der HEV.

Basler Parlament diskutiert harte Solarpflicht

Schneller vorangehen will man unter anderem im Kanton Basel-Stadt. Dort hat der Regierungsrat im Juli die überarbeitete Solaroffensive verabschiedet. Das Solarstrompotenzial auf Dächern und an Fassaden im Kanton Basel-Stadt reiche aus, um rund 40 % des heutigen kantonalen Strombedarfs zu decken. Mit der Solaroffensive will der Regierungsrat den Ausbau der Photovoltaik vorantreiben. Der Gesetzesentwurf, der nun vom Parlament bearbeitet wird, enthält vereinfachte Bewilligungsverfahren für PV-Anlagen, ausgebaute Förderung für PV-Anlagen und als schweizweite Neuerung eine Pflicht zur Eigenstromerzeugung für bestehende Bauten mit einer Übergangsfrist von 15 Jahren. Die Änderungen im Bewilligungsverfahren seien mit der kantonalen Denkmalpflege koordiniert worden, erklärt der Basler Regierungsrat. Das bisherige Verbot für PV-Anlagen in den historischen Ortskernen von Basel, Riehen und Bettingen werde aufgehoben. PV-Anlagen an Kulturdenkmälern und in der Schutzzone sowie an Fassaden in der Schonzone ­unterliegen aber weiterhin einer Baubewilligungspflicht. In weniger sensiblen Zonen reicht für genügend angepasste PV-Anlagen eine Meldung an das Bauinspektorat. Grundlage der Nutzungspflicht für bestehende Bauten bildet der Solarkataster, die Pflicht beschränkt sich jedoch auf Bauten mit einer geeigneten Dachfläche von mehr als 100 Quadratmetern. Von der Nutzungspflicht gänzlich ausgenommen sind zudem Kulturdenkmäler von kantonaler oder nationaler Bedeutung. Gemäss dem Vorschlag der Regierung sollen diejenigen, die eine bestehende Nutzungspflicht nicht erfüllen, eine Ersatzabgabe zugunsten eines Förderabgabefonds bezahlen. Der Kanton unterstützt die Installation von PV-Anlagen mit Förderbeiträgen bis ins Jahr 2040. Der Regierungsrat will die Förderung so ausgestalten, dass die Beiträge im Laufe der Jahre abnehmen. Neben einem Grundbeitrag soll es zusätzliche Förderbeiträge für Anlagen an Fassaden geben.

Referendum ist angedroht

Der Vorschlag der Regierung wird von den Parteien ganz unterschiedlich bewertet. Die Grünen und die SP bezeichnen die Solarpflicht als wichtigen Schritt für den Klimaschutz und wollen möglichst viele geeignete Dächer zur Stromproduktion nutzen. Die GLP unterstützt grundsätzlich den Ausbau der Solarenergie, lehnt aber eine Solarpflicht für bestehende Gebäude ab. Wegen der Dringlichkeit und des schlechten Stands in Basel befürwortet sie das Gesetz unter gewissen Bedingungen. Die Mitte lehnt die Solaroffensive in der vorgeschlagenen Form ab, weil sie auf Zwang statt auf Anreize setze. Die SVP und der Hauseigentümerverband sehen einen «zu gros­sen Eingriff ins Eigentumsrecht» und halten die Massnahmen für rechtlich wie ökonomisch problematisch. Bereits jetzt ist ein Referendum gegen das Gesetz vor allem von bürgerlicher Seite im Gespräch. Sollte das neue Gesetz angenommen werden, hätte dies einen massiven Einfluss auf das architektonische Erscheinungsbild der Stadt Basel.

www.endk.ch
www.bs.ch/wsu/schwerpunkt-solaroffensive

Ein Modell für die Schweiz?

Während der Boomjahre 2022 und 2023 nahm die Zahl der Photovoltaikanlagen in der Schweiz massiv zu. Und der Ausbau geht trotz schwieriger politischer Zeichen weiter. Dennoch ist in der Schweiz bisher keine Ortschaft bekannt, die ihr Potenzial systematisch nutzt. Mit den angepassten Energie- und Baugesetzen gemäss den MuKEn 2025 werden sich aber nicht nur die Dachlandschaften in der Schweiz verändern, sondern auch die zugehörige Infrastruktur im Siedlungsraum. Wie diese aussehen könnte, will das Forschungsprojekt «Energieverbund Mittelhäusern» mit einer lokalen Elektrizitätsgemeinschaft (LEG) zeigen. Um die Vision des Energieverbunds Mittelhäusern zu prüfen, wurde im Auftrag der Gemeinde Köniz eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Diese kam zum Schluss, dass sich Mittelhäusern sehr gut für ein solches Pilotprojekt eignet. Das Projekt macht den Könizer Ortsteil Mittelhäusern zum Reallabor: Innert dreier Jahre soll aufgezeigt werden, wie eine Energieversorgung (Strom, Wärme, Mobilität), die zu 100 % aus erneuerbaren Energien besteht, aussehen könnte. «Mittelhäusern ist ein Pionierdorf innerhalb von Köniz», erklärt der zuständige Gemeinderat Hans­ueli Pestalozzi, Vorsteher Direktion Umwelt und Betriebe, beim Vorstellen der Machbarkeitsstudie. Das Projekt sieht vor, auf allen grösseren Dächern in Mittelhäusern Photovoltaikanlagen mit Batteriespeichern direkt bei den Anlagen zu bauen. «Der Photovoltaikausbau muss netzverträglich sein und darf nicht zu hohe volkswirtschaftliche Kosten auslösen», begründet Pestalozzi den Ansatz. Dazu hat die Berner Fachhochschule verschiedene Varianten durchgerechnet: Die dezentral angeordneten Batterien und die Steuerung ermöglichen ein gleichmässiges Einspeisen von Strom über eine längere Zeitperiode. «Dank der dezentralen Speicher muss die Leistung im Netz nicht erhöht werden», erklärt Christoph Bucher, Professor für Photovoltaiksysteme BFH. Dennoch sei es wichtig, dass überschüssige Produktion ins Netz eingespeist werden könne, denn der Rest der Schweiz werde auf die Überschüsse der Gemeinden wie Mittelhäusern angewiesen sein. Teil des Projekts ist auch der Verteilnetzbetreiber, die BKW Power Grid. Wie Andreas Ebner, Leiter Netzplanung und Projekte, ausführte, will die BKW in Mittelhäusern ausprobieren, wie genau sich mit Batterien und Einspeiselimitierungen Kosten sparen lassen. Dafür brauche es ein intelligentes Netz, das in dieser Dimension so noch nirgends erstellt worden sei. Mit dem Projekt könne man ganz viel über das Energiesystem der Zukunft herausfinden. Im Pilotprojekt liegt der Schwerpunkt auf der Stromversorgung. Die vollständige Dekarbonisierung der noch vorhandenen 75 Öl- und Elektroheizungen sowie der bestehenden Fahrzeuge sei innerhalb von drei Jahren wirtschaftlich und politisch nur schwer realisierbar. Anwendungen im Bereich Wärme und Mobilität sollen daher in einem Folgeprojekt umgesetzt werden. Gemäss der Studie steht aber nach dem Ausbau der Photovoltaik zusammen mit der Schweizer Wasserkraft genügend erneuerbare Energie zur Verfügung, um alle heute noch verwendeten fossilen Energien zu ersetzen. Für die Vermarktung des Solarstroms ist die Gründung einer AG vorgesehen. Auch die Bevölkerung in Mittelhäusern kann sich über die AG am Projekt finanziell beteiligen. Alle Projektpartner betonten, dass schliesslich alle Beteiligten dank tieferer Systemkosten, tieferer Stromkosten und besserer Vergütung des eingespeisten Stroms profitieren können. Das sei aber nur möglich, wenn alle Beteiligten gemeinsam Lösungsansätze erarbeiteten.
www.energieverbund-mh.ch