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Selbstbaugenossenschaften: Die Energiewende in die eigenen Hände nehmen

Was vor zehn Jahren mit einer Idee begonnen hat, ist heute eine genossenschaftliche Bewegung in der ganzen Schweiz: Selbstbaugenossenschaften bieten Hilfe zur Selbsthilfe, damit jede und jeder beim Bau einer Photovoltaikanlage auf dem eigenen Dach Hand anlegen kann. Angesichts der sich verändernden gesetzlichen Rahmen­bedingungen kommt den Genossenschaften jetzt wieder ein grösseres Gewicht zu, wenn es darum geht, über die Vorteile der Photovoltaik zu informieren.

Text: Beat Kohler

Das Wichtigste am Selbstbau ist der Spass daran, selbst aktiv zu werden. Das hält der Leitfaden fest, den die verschiedenen Selbstbaugenossenschaften der Schweiz gemeinsam herausgegeben haben. Seit 2015 sind insgesamt 17 solche Genossenschaften in praktisch allen Landesteilen entstanden. Die Wurzeln der Selbstbaubewegung für PV-Anlagen in der Schweiz liegen im Berner Oberland. 2015 gründete der junge Ingenieur Syril Eberhart in Spiez die erste Selbstbaugenossenschaft für Photovoltaikanlagen. Auslöser war die eigene Erfahrung: Nachdem er gemeinsam mit Freunden die Anlage auf dem Dach seiner Eltern selbst installiert hatte, wollte er dieses Wissen und die Begeisterung an andere weitergeben. Mit seiner Idee löste er zuerst in Spiez und später in der ganzen Schweiz eine Bewegung aus. Die von ihm gegründete Energiewendegenossenschaft Bern hat seither mitgeholfen, dass 1345 Anlagen – über 300 davon allein im Jahr 2024 – mit einer Gesamtleistung von 33 MW entstanden sind. Weitere Genossenschaften befinden sich auch auf einem Wachstumspfad, allen voran die Energiewendegenossenschaft Winterthur. Im vergangenen Jahr konnte sie insgesamt 85 PV-Anlagen mit einer Gesamtleistung von 2177 kW bauen. Trotz der erfreulichen Zahlen – Selbstbau bleibt insgesamt ein Randphänomen. «Etwa ein halbes bis ein Prozent der Anlagen werden im Selbstbau realisiert», stellt Diego Fischer, Projektleiter Selbstbau bei VESE, fest. Im Solarbaurekordjahr wurden über 66 000 kleinere Anlagen bei Pronovo zur Förderung angemeldet, insgesamt sogar über 69 000. Angesichts der Zahlen der beiden grössten Selbstbaugenossenschaften dürfte der Anteil der Selbstbauanlagen daran tatsächlich im tiefen Prozentbereich gelegen haben. Dennoch hat der Selbstbau in den letzten zehn Jahren einen wesentlichen Beitrag zum Ausbau der Solarenergie und damit zur Energiewende geleistet. Die Genossenschaften haben vor dem grossen Boom der Photovoltaik dazu beigetragen und erfolgreich das Vorurteil bekämpft, dass Photovoltaik zu kompliziert und zu teuer sei.

Guter Rahmen, um selbst Hand anzulegen

Doch was ist Selbstbau bei der Photovoltaik genau? Anders als bei der Solarthermie ist es für Private unmöglich, selbst Solarmodule zu bauen. Vielmehr geht es darum, mitzuhelfen, eine Photovoltaikanlage auf dem eigenen Dach zu montieren. Der Selbstbauprozess ist klar strukturiert und auf die Hilfe zur Selbsthilfe ausgerichtet. Interessierte wenden sich an eine lokale Selbstbaugenossenschaft, die bei der Planung, der Materialbeschaffung und der Montage unterstützt. Das für den Bau notwendige Material wird möglichst zentral und kostengünstig eingekauft. Von diesen Kostenvorteilen sollen auch die Genossenschafterinnen und Genossenschafter profitieren, indem die Genossenschaft nur eine kleine Marge zur Deckung ihrer Kosten berechnet. Geplant werden die Anlagen von selbstständigen Planerinnen und Planern, die mit den Genossenschaftern zusammenarbeiten. Durch die eigene Mitarbeit und ein Arbeitstauschmodell können die Kosten zusätzlich tief gehalten werden. Der Selbstbau ermöglicht es, auch mit begrenztem Budget eine hochwertige Anlage zu realisieren.

Mit gleichgesinnten auf dem Dach

Die finanziellen Aspekte machen aber nicht die eigentliche Faszination des Selbstbaus aus, auch wenn sich natürlich viele Bauwillige auch wegen des Preises für eine solche Anlage entscheiden. Für viele stehen die Freude an handwerklicher Arbeit, der Stolz auf eine selbst gebaute, aber professionelle PV-Anlage und das Wissen, Teil einer gleichgesinnten Gemeinschaft zu sein, im Vordergrund, wie im Leitfaden der Selbstbauer steht. Wer selbst auf dem Dach steht und mit dem Akkubohrer in der Hand die Unterkonstruktion festschraubt, ein Modul auf das Dach trägt oder die Kabel festzurrt, der wird bestätigen, dass dies nicht nur leere Worte sind. Oder wie Nicole Wolfensberger, auf der Website der Energiewendegenossenschaft Region Winterthur erklärt: «Ich bin Mitglied der ERW, weil ich Teil der Energiewende sein möchte. Sich mit anderen für etwas einzusetzen, was einem am Herzen liegt, ist etwas Schönes. Bei der ERW darf auch mitmachen, wer keine Anlage auf dem eigenen Hausdach plant oder sie schon lange realisiert hat.» Beim gemeinsamen Bauen, aber auch beim gemeinsamen ­Zvieri oder beim Fachsimpeln auf dem Dach wird die Energiewende für alle Beteiligten besser greifbar. Und wer seine Anlage selbst gebaut hat, entwickelt auch ein viel besseres Verständnis für deren Betrieb. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwerben fundiertes Wissen über die Funktionsweise und Wartung. Dieses Know-how ist Betriebsphase der Anlagen von grossem Vorteil, indem der Besitzer seine Anblage selbst direkt überwacht und allfällige keine Pannen sofort selbst beheben kann..

Unterstützung bei den herausfordernden Tätigkeiten

Die eigentliche Montage wird unter Anleitung eines Bauleiters oder einer Bauleiterin durchgeführt. Dabei helfen die Mitglieder eben nicht nur bei der eigenen Anlage, sondern auch bei den Projekten anderer Genossenschafter mit. Für besonders anspruchsvolle und vor allem sicherheitsrelevante Arbeiten wie den Gerüstbau oder die elektrischen Installationen am Wechselrichter werden lokale Fachbetriebe engagiert. So entsteht ein flexibles, aber sicheres System, das sowohl Laien als auch erfahrene Handwerker einbindet. Das ist auch notwendig, denn insbesondere die elektrischen Installationen dürfen nur von konzessionierten Elektrikern oder Solarteuren durchgeführt werden. Auch die Anmeldung der Anlage beim lokalen Netzbetreiber und die Einhaltung der geltenden Sicherheitsnormen sind für den Selbstbau ebenso verpflichtend, wie sie es für Installationsfirmen sind. Die Anforderungen an die Sicherheit und die Anmeldung der Anlagen sind komplex und können für Laien abschreckend wirken. Die Hilfe zur Selbsthilfe durch die Genossenschaften ist hier daher besonders wichtig. Selbstbaugenossenschaften stehen ihren Mitgliedern auch zur Seite, wenn sie ihre Anlage ergänzen oder erweitern wollen. So ist bei der Energiewendegenossenschaft Bern im vergangenen Jahr die Nachfrage nach Batterien stark gestiegen – und das nicht nur bei neu gebauten Anlagen. Viele Genossenschafterinnen und Genossenschafter wollen unabhängiger werden und setzen deshalb auf Speicherlösungen.

Wichtig für die Kommunikation

Angesichts der verhältnismässig kleinen Nische, welche die Selbstbaugenossenschaften in den letzten zehn Jahren bedient haben, könnte man ihre Notwendigkeit zum Erreichen der Ziele der Energiewende hinterfragen. Denn genau das haben sich diese Genossenschaften auf die Fahne geschrieben: Sie wollen die Energiewende voranbringen. Mit dem Boom der letzten drei Jahre schien vieles erreicht. Doch seit Anfang 2025 gehen die Anmeldungen für neue Anlagen zurück. Gemäss Pronovo sind die eingegangenen Gesuche für die kleine Einmalvergütung von 5137 im Januar auf 4091 im April zurückgegangen. Die Verunsicherung ist gross. Mussten die Selbstbaugenossenschaften vor zwei Jahren noch Wartelisten führen, weil nicht alle Selbstbauwilligen betreut werden konnten, so müssen sie jetzt wieder aktiv die Vorteile der Solarenergie bewerben und Vorurteile bekämpfen. Das hat viel mit der Unsicherheit zu tun, welche die Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen im neuen Stromgesetz mit sich bringt. Es hat aber auch mit der politischen Diskussion zu tun. Verschiedene Exponenten wenden sich bereits vom Pfad der erneuerbaren Energien ab, bevor man sich richtig auf den Weg gemacht hat. Die Selbstbaugenossenschaften werden wieder mehr aufklären und überzeugen müssen. Beispielsweise müssen sie zeigen, wie die selbst gebauten Anlagen auch mehr zur Deckung des Strombedarfs im Winter beitragen können – etwa mit Anlagen an der Fassade. So hat die Energiewendegenossenschaft an ihrem Tag der offenen Tür am 20. Juni ihren Besucherinnen und Besuchern auch erklärt, wie man ein Balkonkraftwerk installiert und wie dieses funktioniert. Sowieso kommt die Wissensvermittlung immer stärker in den Fokus der Selbstbaugenossenschaften. So werden nicht nur Kurse für zukünftige Planerinnen und Planer angeboten, sondern auch Grundkurse für Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer, die etwas über die Grundlagen der Photovoltaik erfahren und in die Welt der Photovoltaik einsteigen wollen.

Enormes Entwicklungspotenzial

Der Selbstbau von Photovoltaikanlagen in der Schweiz hat in den letzten zehn Jahren an Bedeutung gewonnen. Durch die Gründung von Selbstbaugenossenschaften, die Förderung von Gemeinschaftsprojekten und die steigende gesellschaftliche Akzeptanz ist es gelungen, viele Haushalte für die Solarenergie zu begeistern. Der Selbstbau ist kostengünstig, fördert das praktische Verständnis und stärkt den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Trotz einiger Herausforderungen bietet er ein enormes Entwicklungspotenzial für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien in der Schweiz. Oder wie der Gründer der ersten PV-Selbstbaugenossenschaft Syril Eberhart im Leitfaden zum Selbstbau erklärt: «Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Arbeit ist spannend und abwechslungsreich und erlaubt es, die Photovoltaiktechnik aus erster Hand kennenzulernen: Du realisierst deine persönliche Energiewende mit deinen eigenen Händen.»

www.selbstbau.ch
www.ewg-winterthur.ch
www.e-wende.ch