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Die Weichen stellen für die Solarthermie

Foto: Swissolar

Ohne Solarthermie kostet uns eine Netto-null-Strategie deutlich mehr, so das Fazit einer neuen Studie. Doch die Konkurrenz anderer Energiesysteme ist gross. Was braucht es, damit die Solarthermie im ­dekarbonisierten Energiesystem eine Rolle spielen wird? Diese und weitere aktuelle Fragen und Lösungen diskutiert die Branche an der Solarwärme-Tagung am 17. November 2021 in Affoltern am Albis.

Irene Bättig, im Auftrag von Swissolar

Solarwärme-Tagung am 17. November

Sonne und Holz – die ideale Kombination: Diesem Thema widmet sich die neunte Solarwärmetagung, die Swissolar zusammen mit Holzenergie Schweiz und EnergieSchweiz organisiert. Die Referate am Morgen beschäftigen sich mit der Frage, wie die Wärmewende umgesetzt werden kann und wie Holz und Sonne dazu beitragen. Am Nachmittag stehen Besichtigungen auf dem Programm.
Datum: Mittwoch, 17. November 2021
Ort: Kasinosaal Affoltern, 8910 Affoltern am Albis
Programm und Anmeldung: www.solarwaerme-tagung.ch

Photovoltaikanlagen haben die Sonnenkollektoren in den letzten Jahren von Schweizer Dächern verdrängt. Kaum jemand spricht von der Solarthermie auf dem Weg zu einem dekarbonisierten Energiesystem. Zu Unrecht, wie eine vom Bundesamt für Energie geförderte Studie von der Hochschule Luzern, der ETH Zürich, der Ostschweizer Fachhochschule, Ernst Basler und Partner und Swissolar zeigt: Die Wärme aus der Sonne kann einen bedeutenden Beitrag zur Energiewende leisten, und zwar zu geringeren Kosten als andere Lösungen. Dank Solarwärme lies­sen sich im Energiesystem der Zukunft jährlich 200 bis 400 Millionen Franken sparen. «Wir sollten jede verfügbare ­erneuerbare Energiequelle nutzen», so Matthias Berger von der Hochschule Luzern (HSLU), Co-Leiter der Studie «SolTherm2050». Die Forschenden sehen eine zentrale Rolle für die Solarthermie: im Sommer Wärme liefern, um begrenzte Energiequellen wie Holz oder Erdwärme zu sparen. Diese stehen dafür im Winter zur Verfügung.

Potenzial in Ein- und Mehrfamilienhäusern

Heute dominieren die Warmwasserbereitung und Kombisysteme mit Heizungsunterstützung in Ein- und Mehrfamilienhäusern den Markt, welche die Solarwärme nur kurzzeitig speichern. In einzelnen Liegenschaften eingesetzt, haben diese Lösungen das Potenzial, den Verbrauch fossiler und auch erneuerbarer Brennstoffe zu senken. Zudem erhöhen sie die Effizienz, da im Sommer der intermittierende Betrieb reduziert wird.
Zunehmend an Bedeutung gewinnen werden Lösungen mit Wärmespeichermöglichkeiten über eine Woche oder gar saisonal. Solare Eisspeichersysteme mit Wärmepumpe könnten hier in Zukunft eine wichtige Rolle übernehmen. Die Regeneration von Erdsonden mit Solarenergie wird sich hingegen nur durchsetzen, wenn die Anergie knapp wird. Aufgrund des steigenden Kühlbedarfs im Sommer wird wohl vielerorts genügend Abwärme zur Regeneration zur Verfügung stehen. Insgesamt sehen die Forschenden in einem kostenoptimierten System ein beachtliches Potenzial für thermische Systeme in Ein- und Mehrfamilienhäusern von 3 bis 5 TWh.

Im Verbund und für die Industrie

In Städten und Agglomerationen, aber auch in kleineren Gemeinden entstehen immer mehr Wärmenetze. Sie lassen sich je nach Wärmequelle sinnvoll mit Solarwärme ergänzen. Das Potenzial liegt vor allem bei Holzwärmeverbünden. «In gewissen Regionen wird der Energieträger Holz schon heute knapp», so Berger. Teilweise würde sogar Kernholz verheizt, was keinen Sinn mache. Solarthermische Anlagen wären also eine ideale Ergänzung. Mit Wärmegestehungskosten von um die 5 Rp./kWh sind Verbundlösungen die günstigste Form, Solarwärme zu nutzen. Die Krux dabei ist, dass kaum genügend geeignete Dachflächen vorhanden sind und Freiflächenanlagen in der Schweiz einen schweren Stand haben. Um einen hohen Solaranteil zu erreichen, sind saisonale Speicher in der Grössenordnung von 1,5 bis 2 Kubikmetern pro Quadratmeter Kollektorfläche notwendig. Nur geringe Chance hat die Solarthermie dort, wo Seen und Flüsse als erneuerbare Wärmequellen für Wärmeverbünde zur Verfügung stehen.
Auch bei der industriellen Wärmeversorgung könnte die Solarenergie einen bedeutenden Beitrag zur Dekarbonisierung leisten. Denn Prozesswärme ist übers ganze Jahr gefragt, also auch im Sommer, wenn am meisten Solarenergie produziert wird. Hier können vor allem bei höheren Temperaturen Vorteile gegenüber dem Einsatz von Wärmepumpen bestehen. Entwickelt sich jedoch die tiefe Geothermie weiter und gelingt es, aus dem Untergrund Wärme auf Nutztemperatur zu fördern, hat die Solarwärme dort einen schweren Stand.

Thermische Speicher sind wichtig

Ob in isolierten Lösungen im Einfamilien- und Mehrfamilienhaus, in thermischen Netzen oder in der industriellen Anwendung – in einem dekarbonisierten Energiesystem werden Wärmespeicher eine wichtige Rolle spielen. Denn es ist effizienter und kostengünstiger, Wärme über einen längeren Zeitraum zu speichern als Strom. «Auch Systeme, welche die Wärme über ein bis zwei Wochen speichern, leisten einen Beitrag, um Winterlücken zu überbrücken», erklärt Jörg Worlitschek vom Kompetenzzentrum für thermische Energiespeicher an der HSLU, der an der Solarwärme-Tagung die neusten Entwicklungen auf dem Gebiet vorstellen wird. Klassische thermische Speicher mit heis­sem Wasser, wie sie heute mehrheitlich im Einsatz stehen, benötigen grosse Volumen. Knappe Platzverhältnisse und hohe Kosten sind Hindernisse für die Langzeitspeicherung. Eine höhere Energiedichte erreichen Latentwärmespeicher, die den Phasenwechsel eines Mediums nutzen. Ein bekanntes Beispiel sind Eisspeicher. Sie benötigen rund dreimal weniger Volumen, um die gleiche Energiemenge zu speichern. Ihr Nachteil: Die nutzbare Temperatur um den Gefrierpunkt bei 0 °C ist für viele Anwendungen nicht ideal. «Wir erforschen neue Materialien, deren Phasenwechsel auf gewünschten Temperaturniveaus liegt – für die Wärmeversorgung bei etwa 30 °C bis 45 °C, für Brauchwarmwasser bei etwa 60 °C oder für die Klimatisierung bei 12 °C», erklärt Worlitschek. Weiteres Potenzial bieten thermochemische Speicher. Sie nutzen eine reversible chemische Reaktion, die in eine Richtung Wärme aufnimmt und in die andere wieder abgibt.

Grosser Handlungsbedarf

Der Solarthermie gebührt ein fester Platz in der künftigen Energieversorgung der Schweiz, so das Fazit der Forschenden. Eine sinnvolle Lösung ist die Kombination von Sonne und Holz, sowohl bei Einzelanlagen wie auch in Wärmeverbünden. Dieses Thema bildet einen Schwerpunkt der diesjährigen Solarwärme-Tagung.
Mit einer konservativen Schätzung kommt die Studie «SolTherm2050» auf ein Potenzial aller Solarwärmenutzungen von 5 bis 10 TWh. «Bei der aktuellen Ausbaugeschwindigkeit würde es 600 Jahre dauern, bis wir dieses Ziel erreicht hätten», so Berger. Um Schwung in die Solarthermie zu bringen, müsse die Branche einiges unternehmen. «Solarthermische Anlagen sind komplex in der Ausführung, die Photovoltaik funktioniert besser», so der Forscher. Es brauche deshalb eine stärkere Standardisierung, eine Modularisierung und Systemlösungen, damit die Qualität steige. Auch bei thermischen Speichern ist noch viel Potenzial vorhanden. Hier ist aber auch die Forschung gefragt, neue Materialien und Lösungen zu entwickeln. «Für netto null benötigen wir verschiedene Ansätze», ist Berger überzeugt. «Für neue Systeme braucht es Demonstrationsprojekte und mutige Bauherrschaften und Investoren.»

www.swissolar.ch