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Ungleich lange Spiesse bei den HKN ab Mitte 2021

Grafik: vese.ch

Herkunftsnachweise (HKN) können unabhängig vom physikalischen Strom gehandelt werden. Sie werden auch über die Landesgrenzen hinaus gehandelt. Ohne Stromabkommen kann die Schweiz aber ab Mitte 2021 keine HKN mehr ins europäische Ausland exportieren. Der Import soll aber weiterhin möglich sein – mit ungewissen Auswirkungen.

Beat Kohler

Die Schweiz handelt seit 2002 mit Stromzertifikaten und war am Aufbau der Rahmenbedingungen und des Europäischen Handelssystems massgeblich beteiligt. Seit 2006 sind die Schweizer Stromlieferanten verpflichtet, ihre Endkunden über die Herkunft des gelieferten Stroms zu informieren. Vom HKN-Handel machen beispielsweise die Schweizer EVUs regen Gebrauch. Sie importieren im grossen Massstab Zertifikate für ihre Stromprodukte. Im Import werden aktuell gemäss eine Publikation des Bundesamts für Energie (BFE) für rund 16 TWh HKN aus der EU und vor allem auch aus Norwegen importiert. Diese machen rund einen Viertel der für die Stromkennzeichnung in der Schweiz eingesetzten HKN aus. Exportiert wird ebenfalls und zwar vorwiegend HKN aus Wasserkraft. Dieser beidseitige Handel wird ab Mitte 2021 nicht mehr möglich sein. Grund dafür ist das Europäische Clean Energy Package, das die EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, HKN aus Drittstaaten nur noch zu anerkennen, wenn der Drittstaat ein Abkommen mit der EU über die gegenseitige Anerkennung abgeschlossen hat. Die Schweiz hat kein solches Abkommen, dies hat zur Folge, dass Schweizer HKN in der EU ab Mitte 2021 nicht mehr akzeptiert und vom Markt ausgeschlossen sein werden. «Dies bedeutet insbesondere, dass HKN für Schweizerische Wasserkraft nicht mehr in EU Länder exportiert werden können. Bisher war alpine Wasserkraft insbesondere in Deutschland sehr beliebt, und der Preis für schweizerische Wasserkraft war wesentlich höher als jener für skandinavische. Durch den EU Entscheid sind die Preise für Schweizerische Wasserkraft-HKN bereits jetzt am Sinken, was natürlich bedauerlich ist», erklärt Lukas Gutzwiller, Fachspezialist Energieversorgung und Monitoring beim BFE gegenüber dieser Zeitschrift. Dieselbe Situation droht der Schweiz auch in den Ländern des EWR wie Norwegen, die dazu verpflichtet sind, die Vorgaben des Clean Energy Packages zu übernehmen.

Ersatznachweise

Mit der Einführung der Volldeklaration gemäss Energiestrategie 2050 ist Strom aus nicht überprüfbaren Quellen für die Stromkennzeichnung nicht mehr zulässig. Neu müssen sämtliche Stromlieferungen an Endkunden mit Herkunftsnachweisen (HKN) belegt werden. Im Fall von Importstrom ist dies jedoch nicht immer möglich. Im europäischen Ausland werden nämlich in den meisten Fällen nur Herkunftsnachweise für erneuerbare Energieträger und teilweise sogar gar keine ausgestellt. Daher wurde mit der Revision des Energiegesetzes auf den 1.1.2018 die Möglichkeit geschaffen, dass sich ein Unternehmen für importierten Strom aus der Produktion eines konventionellen Kraftwerks im europäischen Ausland Ersatznachweise ausstellen lassen kann. Wie reguläre HKN ist der Ersatznachweis gültig und kann für die Stromkennzeichnung verwendet werden. Er kann innerhalb der Schweiz auch an andere Unternehmen mit einem Konto im Herkunftsnachweissystem übertragen werden. (Pronovo/Redaktion)

Nicht gleiches mit gleichem vergelten

Als Antwort auf diese Situation könnte die Schweiz im Gegenzug die Europäischen Zertifikate auch nicht mehr akzeptieren. Das BFE hat sich jedoch nach einer Umfrage bei Kraftwerksbetreibern, Branchenverbänden und Industrie dagegen entschieden. «Wir haben im Frühling 2020 eine Umfrage bei den grössten Wasserkraftproduzenten und Stromgrossverbrauchern gemacht. Darin haben sich alle Befragten für die Weiterführung der so genannten Ersatznachweise ausgesprochen», führt Gutzwiller aus. So soll die Gültigkeit der EU-und EWR-Zertifikate in der Schweiz auch nach Mitte 2021 erhalten bleiben. Wie aus den Antworten des BFE hervorgeht, haben noch andere Überlegungen zu diesem Schritt geführt. Da in den meisten EU-Ländern die Produktion aus konventionellen Kraftwerken nicht erfasst wird und keine Vollerfassung besteht, hat die Schweiz mit der Einführung der Volldeklaration auch die so genannte Ersatznachweise eingeführt (siehe Kasten). Mit den Ersatznachweisen muss in der Schweiz der Strom aus Kohle- oder Gaskraftwerken deklariert werden, wenn Schweizer Verbraucher solchen Strom importieren wollen. Mit der Aberkennung der europäischen HKN – faktisch einer HKN-Abschottung der Schweiz – wäre der HKN-Markt in der Schweiz grundsätzlich verknappt worden, was zu steigenden HKN-Preisen in der Schweiz geführt hätte. «Wenn aber die Ersatznachweise trotz Abschottung weitergeführt werden, wie dies ja in der Umfrage gewünscht wurde, würde sich das HKN-Angebot nicht wesentlich verknappen. Denn bei steigenden HKN-Preisen könnten die Versorger auf die günstigeren Ersatznachweise ausweichen. Das heisst also: Solange die Ersatznachweise weitergeführt werden, wird die Aberkennung der europäischen HKN die Preise für schweizerische HKN nicht wesentlich beeinflussen», so Gutzwiller.

Negative Auswirkungen befürchtet

Der Verband unabhängiger Energieerzeuger VESE hingegen befürchtet bei dieser einseitigen Akzeptanz der HKN dennoch negative Auswirkungen auf die Erneuerbaren Energien in der Schweiz, weil weiterhin ausländische Zertifikate in der Schweiz verwendet werden können, Schweizer Produzenten ihre Zertifikate aber nur noch im Inland absetzen können. Der Import und somit die Konkurrenz durch Billig-Wasserkraftzertifikate aus dem Ausland blieben bestehen, ohne entsprechende Exportmöglichkeit schreibt VESE: «Eine mögliche Erklärung dafür ist der Wunsch eines Teils der Schweizer Strombranche, mit möglichst wenig (finanziellem) Aufwand ihren Kunden ein gutes grünes Gewissen zu verkaufen sowie die Tatsache, dass einige Schweizer Firmen nach wie vor dreckigen Kohlestrom zu Dumpingpreisen aus Deutschland kaufen wollen.»

Druck auf Rückliefertarife

VESE fürchtet, dass der Druck auf die HKN-Preise, der sich gemäss BFE zumindest bei den Wasserkraft-HKN bereits jetzt zeigt, auch Druck auf die Rückliefertarife ausüben wird. «Das wird die Erträge der einheimischen erneuerbaren Energien schmälern und den Ausbau der Erneuerbaren noch mehr behindern», erklärt VESE. Dem widerspricht Gutzwiller: «Solange die meisten EU-Länder keine Vollerfassung der Stromproduktion und keine Volldeklaration gegenüber den Endkunden kennen, wird der HKN nicht wesentlich zur Förderung der erneuerbaren Energien dienen», erklärt er. Der HKN sei deshalb im Wesentlichen ein Instrument für Transparenz gegenüber den Endkunden. In der Schweiz werde die erneuerbare Stromproduktion über die Stärkung der bestehenden Instrumente wie EIV, Investitionsbeiträge oder Marktprämie und künftig mit den Massnahmen des neuen Bundesgesetzes über eine sicheren Stromversorgung (StromVG) wie Strommarktöffnung oder «Green Default» gefördert. Durch den «Green Default» werden die Stromlieferanten verpflichtet, für die Grundversorgung ausschliesslich inländische HKN für erneuerbaren Strom einzusetzen. «Der Green Default bedeutet, dass der Strommix für alle Kunden in der Grundversorgung aus 100% inländischen erneuerbaren Energien stammen muss. Das trägt zur Attraktivität der Schweizer HKN bei und stützt deren Preis», führt Gutzwiller aus.

VESE sieht inneren Widerspruch

Aus Sicht des VESE widerspricht sich das BFE mit dieser Haltung selbst. Das Parlament wird Mitte 2021 über «Green Default» debattieren, eine Inkraftsetzung ist aber erst in 2024 vorgesehen. «Die einseitige Kündigung der HKN-Anerkennung durch die EU gäbe uns jetzt schon die Möglichkeit, die für 2024 geplanten Änderungen sofort umzusetzen», erklärt VESE. Zumal diese einseitige Anerkennung der HKN den Zielen der Energiestrategie diametral entgegengesetzt sei, meint VESE. Die Energiestrategie fordere klar den Ausbau der inländischen erneuerbaren Stromerzeugung. «Dies wird offensichtlich kaum dadurch erreicht, dass der kleine Schweizer HKN-Markt einer unsymmetrischen Konkurrenz durch den mehrfach grösseren europäischen HKN-Markt ausgesetzt wird», erklärt VESE. Dazu Lucia Grüter, Präsidentin der Solargenossenschaft Optima Solar Solothurn und Vorstandsmitglied VESE: «Stromversorgungsanlagen sind Infrastrukturprojekte, mit entsprechend langen Amortisationszeiten. Aufgrund fehlender Investitionssicherheit von PV-Anlagen konnten wir 2020 einige grosse Erzeugungsanlagen nicht realisieren. Denn das Investitionsrisiko, welches in erster Linie von der Stabilität der Rückliefertarife abhängt, ist von uns weder prognostizierbar noch beeinflussbar.»

Grosse Unsicherheit schon heute

Viele grosse Stromversorger rechnen heute die mit neuen Unsicherheit behafteten HKN fix in ihre Rückliefertarife ein und gleichen damit auch die noch wesentlich tieferen Rückliefertarife aus. So haben die BKW diesen Sommer die Rückliefertarife auf 2 Rp/kWh gesenkt. Wie der Berner Regierungsrat in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage darlegt, mache die BKW weiterhin sämtlichen Solarstromproduzenten ein Angebot zur Abnahme der HKN für 4,5 Rp./kWh. Damit liege der Abnahmepreis weiterhin im schweizerischen Mittelfeld, rechnet die Berner Regierung vor. Aber abgesehen davon, dass keine Abnahme- und Vergütungspflicht für den ökologischen Mehrwert besteht und die BKW wie auch andere Energieversorger ihre Politik jederzeit ändern können, könnte es nun auch noch dazu kommen, dass der HKN-Preis fällt. Und zumindest im Kanton Bern scheint kein politischer Wille zu bestehen, auf die Rückliefertarife einzuwirken. Der Regierungsrat bezweifelt lieber, ob die Formulierung in der Energieverordnung, welche als Basis der Rückliefertarife auch den Einbezug der Gestehungskosten vorsieht, überhaupt gesetzeskonform ist.

Diese Situation zeigt einmal mehr auf, dass stabile inländische Rahmenbedingungen notwendig sind, um den notwendigen Ausbau der Stromversorgung mit erneuerbaren Energien zu ermöglichen. «Durch die einseitige Anerkennung von HKN wird das Gegenteil erreicht, besser wäre es, einen minimalen, einheitlichen Rückliefertarif zu haben. Damit wäre es möglich, das Investitionsrisiko neuer Stromerzeugungsanlagen zu kalkulieren und basierend darauf dann einen Bauentscheid zu treffen», meint Grüter. Der Verband werde hier den Markt weiter beobachten und schon jetzt proaktiv auf die Verteilnetzbetreiber zugehen, damit diese von ihrer nach wie vor bestehenden Möglichkeit, den Strom zu Gestehungskosten abzunehmen, auch Gebrauch machen.