SubPagesTopPicture

Abnahmevergütung: Modell mit Wahlfreiheit

Die Gestaltung des künftigen Strommarktes wird politisch derzeit hitzig diskutiert. Im Rahmen des Mantel­erlasses des Bundes liegen verschiedene Vorschläge auf dem Tisch, um die Vergütung von Solarstrom besser zu regeln. Eine minimale Abnahmevergütung findet immer mehr Anhänger. Mit einem neuen Vorschlag nimmt die SSES und ihr Fachverband VESE kritische Rückmeldungen zu diesem Modell auf.

Text: Beat Kohler

Fix- und Flex-Modell

Was sich im Schweizer Hypothekenmarkt mit festen und variablen Hypotheken seit Jahrzehnten bewährt hat, soll nun auch auf die Strompreise übertragen werden. Dies zumindest fordern die SSES und der VESE. Anlagenbetreibende hätten für neue PV-Anlagen zwei Möglichkeiten zur Wahl:

 

– Fix-Modell: Analog zu einer Festhypothek wird die Abnahmevergütung bei einem fixen Tarif (z. B. 8 Rp./kWh) über 20 Jahre garantiert. Die Anlage wäre «investitionssicher».
– Flex-Modell: Analog zur variablen Hypothek entscheiden sich die Betreiber einer Anlage für den freien Markt. Der Strom würde dann zum aktuellen Marktpreis vergütet werden – mit allen Marktchancen und -risiken.

 

Beim Fix-Modell wird der Preis über die Endverbraucher finanziert. Diese haben im Gegenzug im Falle steigender Marktpreise die Sicherheit, dass ihr Solaranteil in ihrem Strom im Preis stabil bleibt. Der VESE hat dies durchgerechnet, es ergäben sich – langfristig und volkswirtschaftlich – für beide Seiten nur Vorteile (siehe auch: www.vese.ch/minrl).

Im Flex-Modell wird der Strom zum a­ktuellen Marktpreis vergütet. Je nach Strompreisentwicklung kann dies zu ­grossen Verlusten oder auch Gewinnen des Betreibers führen.
VESE

Minimale Abnahmevergütungen oder gleitende Marktprämien stehen bei verschiedenen Akteuren im Moment hoch im Kurs, wenn es darum geht, Investitionssicherheit für den Bau von Photovoltaikanlagen zu schaffen. Auch die SSES und ihr Fachverband VESE fordern seit langer Zeit eine minimale, langfristig stabile Abnahmevergütung. Die Kritik an diesem Modell zielt vor allem darauf, dass der Markt dabei keine Rolle mehr spielen würde. Deshalb schlagen SSES und ihr Fachverband VESE nun ein angepasstes Modell vor, das sich am Vorbild des Hypothekenmarktes orientiert. Die Anlagen­betreibenden sollen analog zu einer Festhypothek oder einer variablen Hypothek wählen können, ob sie einen festen Abnahmepreis im Sinne einer langfristig stabilen Abnahmevergütung in Anspruch nehmen wollen oder ob sie von den variablen Marktpreisen profitieren wollen (siehe Kasten). Wer also den fixen Preis in Anspruch nimmt, verzichtet auf allfällige Gewinne in einem boomenden Markt, hat aber auch kein Verlustrisiko. Die Anlagenbetreibenden sollen die Wahlfreiheit haben. Für die SSES und den VESE berücksichtigt dieses erweiterte Modell mit der Wahlfreiheit sowohl Forderungen nach einer marktgerechten Vergütung als auch Forderungen nach Investitionssicherheit für die Solaranlagenbetreibenden. Unabhängig vom Fix- oder Flex-Modell ist die Forderung nach einer zentralen Abnahmestelle für Solarstrom. Anstatt dass der Solarstrom von den einzelnen Verteilnetzbetreibern vergütet würde, gäbe es dafür neu eine zentrale Stelle. Dies entspricht auch dem Vorschlag des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen. Der VSE bestätigt, dass die Photovoltaik den grössten Anteil an den Ausbau der erneuerbaren Energien leisten wird und daher die Abwicklung von Abnahme und Vergütung dieses grossen zusätzlichen Volumens zentral und einheitlich zu erfolgen habe. Zu den vorgeschlagenen Vergütungsmodellen äussert sich der VSE aber nicht. Positive Reaktionen zum vorgeschlagenen Modell gibt es aus der Politik. «Ich finde den Vorschlag konstruktiv», erklärt Kurt Egger, Nationalrat Grüne, Mitglied der UREK. Als Eckpunkte seien ein Wahlmodell und eine zentrale Abnahmestelle wichtig.

Gute Preise nur für Grosskunden

Bei den aktuellen Strompreisen überlegen sich viele Anlagenbetreibende, ihren Strom direkt weiterzuverkaufen. Das ist unter den aktuellen Rahmenbedingungen möglich. Grossverbraucher, die im Jahr über 100 000 kWh verbrauchen und damit den freien Marktzugang haben, schauen sich nach günstigen Angeboten um. Angesichts der horrend gestiegenen Marktpreise werden Produzenten von PV-Strom für sie jetzt interessant, da die Photovoltaik ihre Vorteile als günstige Produktionsform ausspielen kann. Der Produzent kann sich entscheiden, seinen Strom an Dritte zu verkaufen, soweit diese Dritten über eine eigene Bilanzgruppe verfügen oder einer solchen angeschlossen sind. Dies ist zu Zeiten tiefer Marktpreise nicht rentabel, bei den aber zurzeit gezahlten hohen Preisen sehr interessant. Das heisst aber, dass die Risiken des Strommarktes einseitig bei den gebundenen Kunden bleiben und sich die Grossverbraucher die Rosinen herauspicken können. Das kann langfristig für das Gesamtsystem keine gute Entwicklung sein. Man kann dies mit der Jagd der Krankenkassen nach sogenannt guten Risiken in der Grundversicherung vergleichen. Im Strommarkt gibt es dafür inzwischen einige Beispiele. So hat die Axpo – als führende Anbieterin von Stromabnahmeverträgen (Power Purchase Agreements, PPA) – mit Nestlé Schweiz zusammengespannt. Seit dem 1. Januar 2022 und bis Ende 2026 bezieht Nestlé knapp 100 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr aus dem in den 1950er-Jahren gebauten Wasserkraftwerk Mauvoisin zu einem fixen Preis, der sich während dieser Zeit dem Markt entzieht. Bei einer abgeschriebenen Anlage lässt sich so ein sicherer Gewinn erzielen. Nachteilig ist dies für die gebundenen Kunden: Sie haben in Zeiten schlechter Marktpreise die Wasserkraft zu Gestehungskosten gestützt, also mehr gezahlt, als der Marktpreis wäre. Jetzt können sie von den guten Preisen nicht profitieren, denn der Strom des Wasserkraftwerks ist durch das PPA der Grundversorgung entzogen. Dies führt zu steigenden Strompreisen für Konsumenten. Auch mit der Solaranlage am Muttsee hat Axpo ein PPA abgeschlossen, in diesem Fall mit Denner. Zu den damaligen Solarstrompreisen wäre die Realisierung der alpinen PV-Anlage ohne PPA nicht möglich gewesen. Das zeigt die Vorteile von PPA. Die Jagd nach guten Risiken auf dem Strommarkt ist also zweischneidig.

BKW-Dividende für Solarstrom

Im März hat der bernische Grosse Rat einen Vorstoss angenommen. Dieser fordert, die jährliche Dividende, die der Kanton aus den Gewinnen der BKW erhält, zielgerichtet und zweckgebunden für Massnahmen einzusetzen, die zur Umsetzung der Energiestrategie 2050 und der kantonalen Energiestrategie 2006 dienen. So soll die kantonale Verwaltung ihren Strombedarf bis 2030 aus eigenen PV-Anlagen decken. Das Parlament hat mit grosser Mehrheit auch den Auftrag erteilt, zu prüfen, wie mit der BKW-Dividende eine für die Amortisation privater PV-Anlagen notwendige, minimale Abnahmevergütung gesichert werden kann. Die Berner Kantonsregierung hat nun zwei Jahre Zeit, entsprechende Lösungen vorzuschlagen. BK

Neue Modelle entstehen

Die Vorteile der aktuellen Marktsituation auch für kleinere Anlagenbetreibende nutzen will Fleco Power. Das Unternehmen bietet neu für alle Anlagen mit einer Lastgangmessung solch ein Produkt an: Anlagenbetreibende können mit Fleco Power einen Vertrag zur «Vermarktung zum Referenzmarktpreis» abschliessen. Ausbezahlt wird sechs Wochen nach Quartals­ende die Produktionsmenge der Anlage zum Referenzmarktpreis des BFE, abzüglich einer Vermarktungsgebühr. VESE betrachtet auch dieses Angebot im Gesamtzusammenhang mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist es begrüssenswert, wenn sich freie Vermarkter um die Energiewende verdient machen und durch höhere Abnahmevergütungen Solaranlagen attraktiver werden – insbesondere in Versorgungsgebieten, wo bis anhin eher schlechte Tarife gezahlt wurden. Andererseits besteht die Gefahr, dass Verluste bei Marktpreisen, die niedriger sind als der Gestehungspreis, durch solche Modelle den gebundenen Kunden aufgebürdet werden. Das Modell von Fleco Power ist für den VESE trotzdem begrüssenswert, trage dieses doch zu einer «längst überfälligen Diskussion um die wahren Kosten der Energiewende sowie der Risikoverteilung der Strompreisentwicklung» bei. Zu dieser Diskussion wollen die SSES und ihr Fachverband mit ihrem neuen Vorschlag auch beitragen.