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«Für diese Diskussion bleibt nur sehr wenig Zeit»

Für das Erreichen der Klimaziele müssen die erneuerbaren Energien rasch ausgebaut werden. In naher Zukunft wird ihre Stromproduktion die Last zeitweise übersteigen. Dann bleiben zwei Optionen: Entweder speichert man den Strom, oder man regelt die Anlagen ab. Meteotest hat im Auftrag des Bundesamts für Energie in einer neuen Studie das Optimum zwischen Abregeln und Speichern berechnet. Studien­leiter Jan Remund, Leiter Energie & Klima Meteotest AG, spricht im Interview über die Resultate.

Text: Beat Kohler

Die Studie «Firm PV power generation for Switzerland» hat untersucht, ob und wie die Photovoltaik einen effektiven und wirtschaftlichen Beitrag zur zukünftigen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in der Schweiz leisten kann. Die Studie wurde im Rahmen des Forschungsprogramms Photovoltaik des Bundesamts für Energie in Zusammenarbeit mit amerikanischen Partnern (Clean Power Research und State University of New York at Albany) durchgeführt. Die Autoren haben nach der optimalen PV-Batterie-Konfiguration gesucht, um damit den wachsenden Strombedarf des Landes für jede Stunde des Jahres zu den geringstmöglichen Kosten zu decken. Berücksichtigt wurden bei der Untersuchung die flexiblen Wasserkraftressourcen, nicht aber die AKW, da diese gemäss Energiestrategie 2050 nicht mehr am Netz sein werden. Die untersuchten 24 Szenarien basieren auf den Energieperspektiven 2050+. Sie unterscheiden sich vor allem bezüglich des Imports von Strom und sind abhängig von zukünftigen Kostenprognosen für PV und Batterien. Bezüglich der Preisniveaus für 2050 gibt es dabei grosse Unsicherheiten.

Optimum dank Abregelung

Grundsätzlich gehen die Autoren aber davon aus, dass die Speicherung von Strom teurer ist als die Produktion mit PV. Deshalb gibt es ein Optimum zwischen dem Zubau zusätzlicher Speicher und einer Überdimensionierung der PV-Leistung in der Schweiz. Die Studie nimmt daher an, dass ein Teil der PV-Produktion nicht direkt genutzt wird und abgeregelt werden muss. Die Autoren rechnen damit, dass je nach Szenario optimalerweise zwischen 10 und 20 % der Energie der PV-Anlagen abgeregelt würden. Das bedeutet, dass die maximale Spitzenleistung der Anlagen um etwa 40 bis 50 % gesenkt werden müsste. In diesen Szenarien würden die Stromproduktionskosten im Schweizer Netz bei 6 bis 8 Rappen pro kWh liegen.

Es würde auch ohne Import gehen

Auch die Szenarien ohne oder mit nur wenigen Importen zeigen in der Studie nur geringfügig höhere Kosten; dies aufgrund des zentralen Elements der Überdimensionierung und der Abregelungen von PV. Die Studienautoren sind überzeugt, dass mit diesem Ansatz drei Hauptherausforderungen der Energieversorgung gleich­zeitig angegangen werden: Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Bezahl­barkeit. Das Szenario für 2050 mit den niedrigsten Kosten ergibt sich bei etwa 40 GW PV, 15 % Abregelung und 15 GWh Batterien, einschliesslich 10 % Nettoimporten (18 TWh im Winter), eines Anstiegs der Stromerzeugung und -speicherung aus Wasserkraft um 10 % (plus 1 TWh Saisonspeicher), eines Anstiegs der Leistung der Pumpspeicherwerke (von 2,9 auf 5,7 GW) und eines Imports von 5 TWh synthetischen Energieträgern (E-Fuels) zur Stromerzeugung.


Was war der Anstoss für die Studie?
Im Photovoltaic Power System (PVPS) Task 16 der Internationalen Energieagentur (IEA), den ich leite, wurde von unseren Partnern in den USA eine neue Methode entwickelt, mit der wir den Schweizer Strommarkt angeschaut haben. Beim massiven Zubau der Photovoltaik wird diese zum Rückgrat der Energieversorgung. Bisher war man auch über die Mittagsstunden froh um jede produzierte Kilowattstunde. Nun wird die Photovoltaik aber eine viel grössere Verantwortung haben, die voraussetzt, dass Solarstrom die Stromver­sorgung zu ­allen Stunden am Tag und im Jahr bereit- und sicherstellen kann. Wir haben mit der neuen Methode berechnet, wo das Optimum liegt zwischen der Speicherung von Solarstrom und der Abregelung von überdimensionierten PV-Anlagen zu gewissen Zeiten.

Welches Optimum ist gemeint?
Es geht um das finanzielle Optimum. Es ist keine Berechnung des Optimums für das Stromnetz, was noch eine andere Dimension wäre. Es ist eine finanzielle Berechnung.

Diese Berechnung bezieht sich auf das Gesamtsystem und nicht auf den einzelnen Anlagenbetreibenden?
Genau, es geht um das volkswirtschaftliche Optimum.

Was haben Ihre Berechnungen zutage gefördert?
Dass ein PV-Kraftwerkspark ohne Abregelung viel teurer wird als mit Abregelung. Wenn zwischen 10 und 20 % der Energie nicht genutzt werden, wird das Gesamtsystem viel günstiger. Die Abregelung betrifft in erster Linie die Mittagsstunden im Sommer, in denen man die Anlagen mit halber Leistung laufen lässt.

Was bedeuten diese Erkenntnisse des Gesamtsystems schlussendlich für den einzelnen Anlagenbetreibenden?
Das ist die nächste grosse Frage, die wir betrachten müssen. Gibt es unter diesen Voraussetzungen für den Investor noch genügend Anreize, eine Anlage zu bauen? Beispielsweise müsste die Schweizer Volkswirtschaft dahin kommen, das in der Studie berechnete Optimum zu erreichen. Die Frage ist, wie dies erreicht werden kann. Und diejenigen, die das Netz regeln, müssen klären, mit welchen Signalen und auf welcher Rechtsgrundlage ein solches System gesteuert werden kann. Das wird erforscht werden müssen.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass dies innert nützlicher Frist geschieht?
Die Problematik ist komplex, und es braucht viel Aufklärungsarbeit. Wir müssen die Relevanz dieser Fragen aufzeigen. Wir müssen ­zeigen, dass wir mit einer Überdimensionierung des PV-Parkes ein sicheres Versorgungssystem erhalten. Das setzt aber auch ein neues Denken mit veränderten technischen und ökonomischen Grundlagen voraus. Das wird seine Zeit brauchen. Niemand ist mir aufgrund der Ergebnisse unserer Studie vor Freude um den Hals gefallen, und es hat auch keine grossen Schlagzeilen gegeben. Die untersuchten Aspekte wurden teilweise schon früher von Roger Nordmann oder Ruedi Rechsteiner angesprochen, und wir haben die Fragen jetzt erstmals systematisch untersucht. So können wir aufzeigen, dass unser Stromnetz dank PV funktionieren würde, selbst wenn wir das Netz in der Schweiz autark betreiben würden – und das ohne markant höhere Strompreise.

Wie sehen die Strompreise aus, die Sie errechnet haben?
Die Grundlage waren die Energieperspektiven des Bundesamtes für Energie. In einem Szenario ohne Abregelung kommen wir da auf Kosten von mehr als 25 Rappen pro kWh. Wenn wir 15 % der Energie abregeln, dann kommen wir noch auf 7 bis 8 Rappen pro kWh. Mit einem höheren Importanteil ist die Kurve etwas flacher, weil man mehr Flexibilität hat. Aber auch wenn wir aufgrund von Differenzen mit der EU kaum mehr Strom importieren könnten, gibt es eine Variante mit relativ günstigen Strompreisen. Dafür müssten die Anlagen aber deutlich stärker abgeregelt werden. Jüngst erschienene alarmistischen Studien wie diejenige der EPFL haben den Preis für die Autarkie immer nur unter der Annahme angeschaut, dass Anlagen nicht abgeregelt werden. Es ist klar, dass die Kilowattstunde dann wahnsinnig teuer wäre. Mit der Abregelung können wir aber in allen Szenarien einen relativ günstigen Strompreis und eine sichere Stromversorgung erhalten. Das ist das positive Ergebnis dieser Studie.

Zurück zu den Auswirkungen auf die einzelnen Anlagen­betreibenden. Im Moment sind Heimspeicher ein grosses Thema. Wird es auch für jeden Einzelnen teurer, in Heimspeicher zu investieren, als eine überdimensionierte Anlage zu Spitzenzeiten abzuregeln? Lässt sich das Ergebnis Ihrer Studie so übertragen?
Der Einzelne hat selbstverständlich noch andere Anreize, weil er den produzierten Strom auch selbst nutzen kann. Daher werden Heimspeicher irgendwann sicher sinnvoll sein. Unseren Berechnungen nach braucht es für das volkswirtschaftliche Optimum zwischen 20 und 50 GWh Batteriekapazität im System. Das heisst, es ist nicht sinnvoll, überall alles abzuregeln. Die Ideallösung wäre, wenn die Heimspeicher vom Verteilnetzbetreiber steuerbar wären.

Müssen Heimspeicher also netzdienlich sein?
Eigentlich schon. Oft hat es in Kellerräumen Platz für solche Batterien, wogegen der Netzbetreiber erst Platz schaffen müsste für Quartierspeicher, was sicher teurer wäre. Wenn der Netzbetreiber allerdings die Heimspeicher steuern soll, braucht es sichere Kommunikationswege, was eine Herausforderung darstellt. Aber auch ohne netzdienlich zu sein, ist ein 5-kWh-Speicher bei einer 10-kW-Anlage sicher vernünftig, um den Ausgleich zwischen Tag und Nacht bewerkstelligen zu können. Das Problem ist aktuell, dass man in der Schweiz für Heimspeicher immer noch Apothekerpreise bezahlt. Im Vergleich zum Ausland sind die Systeme massiv überteuert. An sich sind Lithiumbatterien in den letzten zehn Jahren um den Faktor 10 günstiger geworden. Der Endkundenpreis in der Schweiz hat sich in der gleichen Zeit kaum bewegt. In Deutschland sind Speicher deutlich günstiger, und dort werden die meisten PV-Anlagen direkt mit Batterie installiert. In der Schweiz spielt dieser Markt noch nicht, das wird sich aber ändern.

Bei den aktuellen Anteilen von rund 6 % Solarstrom im Schweizer Strommix ist eine Abregelung noch kaum notwendig. Ab wann wird diese Frage bei uns drängend?
Sobald die Leistung der Photovoltaik zusammen mit der Leistung der Flusskraftwerke, die sich auch schlecht regulieren lässt, grösser wird als die Last in der Schweiz, wird man diese Frage beantworten müssen. Bisher gab es das eigentlich noch nicht, ausser es entstand lokal kurzfristig ein Stau im Netz. In Deutschland gab es dieses und letztes Jahr gewisse Stunden, in denen die Produktion von Wind und Sonne grösser war als die Last im Netz. Zu diesem Zeitpunkt muss man eine Idee haben, was mit diesem überschüssigen Strom geschehen soll. Wenn für ein ganzes Übertragungsnetzgebiet ein zu grosses Stromangebot vorhanden ist, muss man beginnen, einzelne Anlagen herunterzufahren. In Deutschland gibt es zumindest bereits ein Reglement, wie das Herunterfahren von einzelnen Anlagen vergütet wird.

Wie lange hat die Politik in der Schweiz noch Zeit, Spielregeln für die Abregelung zu entwickeln, und ist die Diskussion schon angelaufen?
Die Zeit ist sehr knapp, und es wird noch zu wenig über diese Herausforderung gesprochen. Das gilt für ganz Europa. Der europäische Strommarkt, der heute über die Grenzkosten der Produktion funktioniert, wird sich verändern müssen. Denn die Grenzkosten der Solar- und Windenergie liegen bei null. Es ist aus unserer Sicht ein Widerspruch an sich, einen Grenzkostenmarkt mit grenzkostenloser Energie zu betreiben. Über dieses Thema habe ich schon mit verschiedenen Ökonomen gesprochen, aber es gibt wenige Publikationen, die sich damit befassen. Das Bewusstsein für die Problematik ist noch nicht vorhanden, und es gibt zu wenig Forschung dazu. Für uns ist klar, dass der Staat grössere Aufgaben wird übernehmen müssen, die den Markt zu einem gewissen Teil aushebeln. Die nachgelagerte Debatte, die sich daraus ergibt, wird man noch führen müssen. Dafür bleibt beim aktuellen exponentiellen Wachstum der Photovoltaik allerdings sehr wenig Zeit. Daher bin ich sehr erstaunt, dass es kaum Diskussionen einerseits über Anreize zum Abregeln und andererseits über die technische Umsetzung gibt. In der technischen Umsetzung gibt es Leute, die sich damit beschäftigt haben – beispielsweise Christoph Bucher an der Berner Fachhochschule –, aber es braucht noch deutlich mehr Forschung. Der Politik muss das Kunststück gelingen, das gesamtökonomische Optimum zu erreichen, sonst wird es für alle zu teuer.

https://meteotest.ch/firma/stories